piwik no script img

auf augenhöhePHILIP MEINHOLD über Jugend in den 80ern

Erinnerungen an die JU

Eines meiner ersten politischen Erlebnisse stammt aus dem Jahr 1983: Ich war gerade aufs Gymnasium gekommen, und es galt, einen neuen Schülersprecher zu wählen. Wir versammelten uns in der überfüllten Aula, wo sich die Kandidaten vorstellen sollten. Vorne auf dem Podium standen zwei Tische: Am linken Tisch nahm der erste Kandidat Platz, Nicki Nowak, ein Zehntklässler mit Fönfrisur und Polo-Shirt, am rechten Tisch saßen seine Kontrahenten, eine Kandidatengruppe, die sich „Sixpack“ nannte.

Das Sixpack bestand aus sechs Schülern – vier Jungen, zwei Mädchen –, die aus verschiedenen Jahrgängen kamen. Die Kandidaten hatten jeweils eine Viertelstunde Zeit, ihre Ideen und Programme zu präsentieren: Das Sixpack war gegen die Stationierung von Cruise-Missile- und Pershing-2-Raketen, für die Erklärung unserer Schule zur atomwaffenfreien Zone, für den Verkauf von Milch und Süßigkeiten im Schulgebäude; andernfalls müsse es auch der Unterstufe erlaubt werden, in den Pausen das Gelände zu verlassen. Nicki Nowak trat für ein gutes Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern ein. Die Sache mit dem Verlassen des Schulgeländes fand er versicherungstechnisch bedenklich.

Natürlich wurde das Sixpack gewählt, Nicki Nowak verließ kurze Zeit später unsere Schule. Die Wahl aber war so etwas wie ein erster Höhepunkt, Meilenstein einer politischen Auseinandersetzung, die die gesamten 80er dauern sollte: der Kampf zwischen JUlern und Linken, ausgetragen an Westberlins Schulen.

Als JUler bezeichneten wir die Mitglieder der Jungen Union und ihre Sympathisanten. Solche wie den heute wegen rechtsrüpeligen Äußerungen in seiner Jugend umstrittenen CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel und seine damaligen Kameraden am Georg-Herwegh-Gymnasium in Berlin-Reinickendorf. Aber Steffels gab es an jedem Gymnasium, in jedem Jahrgang zwei, drei. Sie trugen gebügelte Hemden und Bundfaltenhosen, manchmal auch ordentliche Jeans. Statt Frisuren hatten sie Seiten- oder Mittelscheitel und statt Rucksäcken Aktenkoffer mit Zahlenschloss. Da klebten sie Aufkleber drauf, wahlweise: „Atomkraftgegner überwintern, im Dunkeln und mit kaltem Hintern“ (das war nach Tschernobyl) oder: „Deutschland ist größer als die Bundesrepublik“ (nur wie groß, das ließen sie offen). In der Oberstufe sammelten sie sich bevorzugt im Leistungskurs Geschichte oder im PW-Kurs, was für Politische Weltkunde stand.

Die Steffels an meiner Schule hießen Olaf, Martin und Robbi. Wobei Olaf der Anführer war. Im Geschichtsunterricht bezeichnete er die DDR als großes KZ, und als es vor der Abgeordnetenhauswahl 1989 in unserer Schule eine Podiumsdiskussion gab, erschien Olaf in Anzug und Krawatte. Nach der Vorstellungsrunde der Politiker trat er ans Saalmikrofon und stellte die erste Frage: „Herr Momper, wo ist Ihre Mannschaft? Wo ist Ihr Konzept?“ Wir stöhnten laut auf, Momper grinste belustigt, nur der neben ihm sitzende Klaus Landowsky nickte Olaf anerkennend zu.

Die JUler waren Mehrheit und Außenseiter zugleich: in Berlin und Deutschland an der Regierung, aber an den Gymnasien Westberlins in der Unterzahl, von Mitschülern und linken Lehrern belächelt. „Geht doch rüber!“, gaben sie den aufrechten Frontstädter und gefielen sich in ihrer Rolle – irgendwem mussten sie schließlich gefallen.

Und weil sie es sowieso nicht leicht hatten zwischen Friedens-Ini und Antifa-AG, zwischen Nicaragua-Gruppe und Umweltprojekt, kokettierten sie mit ihrem Image als patriotische Deutsche. Halb provozierend, halb ernst gemeint. Auf Veranstaltungen der Schüler-Union jubelten sie dem CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer zu, zum Abschluss sangen sie gemeinsam das Deutschlandlied. Und manchmal, wenn sie besonders kokett waren, stimmten sie auf Partys das Horst-Wessel-Lied an oder ließen sich besoffen beim Hitlergruß erwischen. Das stand dann am nächsten Tag in der Zeitung, war aber nie so gemeint. Genauso wenig wie Olafs KZ-Vergleich; den nahm er in der nächten Geschichtsstunde wieder zurück, sagte, er habe er sich in Rage geredet. Vielleicht dachte er an seine politische Integrität, wahrscheinlicher war, dass er sich um seine Geschi-Zensur sorgte. Patriotischer Deutscher und grundguter Demokrat zugleich – JUler sein war in den 80ern gar nicht so leicht.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen