assistierter suizid Vergangene Woche hat der Bundestag ein neues Gesetz zur Sterbehilfe beschlossen. Doch was bedeutet das für die Sterbehelfer? Und was sagen die Kritiker? Besichtigung einer Kontroverse Schwerpunkt SEITE 43–45: Wer hilft jetzt noch beim Sterben? SterbenSchlechte Zeiten für Sterbehelfer
Im Mai 2013 nahm ein Patient mit Halswirbelsäulen-(HWS-)Syndrom Kontakt zum Bremer Sterbehelfer Peter Puppe auf. Im Folgenden dokumentieren wir den Briefwechsel in Auszügen, der Name des Patienten ist geändert.
20. Mai 2013
Sehr geehrter Herr Puppe,
bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie belästige! Ich schreibe Ihnen, weil ich in einer aussichtslosen Lage bin. Seit über 22 Jahren bin ich nun schon schwer chronisch schmerzkrank. Meine HWS wurde 8x operiert. Ich war in zahllosen Kliniken, Rehas und ambulanten Einrichtungen, ohne dass das irgendwas an meinen unerträglichen Nacken- und Kopfschmerzen geändert hätte.
Die Medizin ist am Ende mit ihrem Latein. Meine eigenen Versuche, mich den Qualen durch Suizid zu entziehen, schlugen alle fehl.Vielleicht können Sie mir helfen, endlich meine Schmerzen abzuschalten – für immer??!!
Achtmal bin ich nach misslungenen Suizidversuchen in der Psychiatrie gelandet. Auch bei Dignitas hatte ich schon vor ca. 18 Jahren einen Termin zur Sterbehilfe. Zu meinem großen Entsetzen wurde dieser Termin aber zwei (!) Tage vorher von den Schweizern abgesagt. Der Grund dafür war fadenscheinig. Ich vermute aber, dass dies mit meinem damals noch recht jungen Alter zusammenhing (ich bin jetzt 45 Jahre alt).
Auch heute noch treffe ich überall, wo ich das Thema „Sterbehilfe“ anspreche, auf das gleiche Argument: zu jung!! Als ob dies mein Leiden erträglicher machen würde!! Oder auch: „Ich möchte in nichts hineingezogen werden! Machen Sie das besser alleine!“
Das hab ich versucht! Mit Gift, Gas, Erfrieren, KCl-Infusion, Medikamenten und, und, und ... Mein Körper scheint trotz allem immer noch sehr robust zu sein, leider!
Ein bisschen Hoffnung gab mir Ihr Auftritt im Fernsehen – und Ihr Buch! Sollte ich doch noch jemanden finden, der mir behilflich ist, mein nunmehr 22-jähriges Martyrium zu beenden? Auf eine humane, gnädige Art und Weise? (...)
Es stimmt: Wenn man nur auf die nackten Zahlen schaut, bin ich vergleichsweise „jung“. Aber was spielt das für eine Rolle? Sollte man nicht vielmehr die Zeitdauer betrachten, die man schwer leidet und in der es keinen Tag gab, an dem ich mir nicht gewünscht hätte zu sterben? Das sind nun 25 Jahre! Und kein einziger Tag war es wert, gelebt zu werden! Das schaffen sicher auch nur die wenigsten „älteren Herrschaften“ – oder?
Herr Puppe, ich danke Ihnen von ganzem Herzen dafür, dass Sie meine Mail gelesen haben und verbleibe mit der großen, großen Hoffnung, dass Sie oder ein Kollege sich in der Lage sieht, mir meinen nun seit 25 Jahren größten Traum zu erfüllen: ENDLICH friedlich einschlafen zu dürfen und ENDLICH, ENDLICH meinen unbeschreiblichen, gnadenlosen Schmerzen endgültig entrinnen zu können!!
Mit freundlichen Grüßen
Harald Schwegerich
***
21. Mai 2013
Sehr geehrter Herr Puppe,
vielen Dank für Ihre überaus schnelle und ausführliche Antwort! Natürlich interessiere ich mich für den von Ihnen genannten Lesestoff und auch für die Broschüre „Handreichungen“.
Aber eine Frage bleibt mir:
Selbst wenn ich ganz genau weiß, wie man die Medikamente einnehmen muss – ich bekomme dafür von meinen Ärzten kein Rezept! In meiner Akte steht natürlich drin, dass ich schon mehrfach versucht habe, mir das Leben zu nehmen (wobei es mir nie darum ging, nicht mehr „leben zu wollen“, sondern darum, nicht mehr „leiden zu können“!) und mein Arzt passt höllisch auf, mir ja nichts zu verordnen, was auch nur im Entferntesten dazu geeignet wäre, sich zu suizidieren – nicht mal mehr Benzos. Ich weiß beim besten Willen nicht, wer bereit wäre, mir ein Rezept zu schreiben.
Übrigens: Ich hatte gar nie eine Depression, auch wenn die Leute von der Psychiatrie mir das gerne angedichtet hätten!!! Das nur zur Sicherheit. Vielen Dank für Ihre Mühe!!
Mit freundlichen Grüßen,
Harald Schwegerich
***
23. Mai 2013
Lieber Herr Puppe,
ich habe das Geld für Ihr Buch „Sterbehilfe 4+1“ auf Ihr Konto überwiesen.
Es wäre schön, wenn Sie mir einen Kostenvoranschlag für ein persönliches Beratungsgespräch machen könnten. Ich wäre natürlich auch mit dem Besuch einer Ihrer Mitstreiter glücklich, sollte Ihnen die Anfahrt zu mir zu beschwerlich sein!
Ich habe zwar nur sehr wenig Geld (bin schon während der Ausbildung zum Pflegefall und damit zum Sozialhilfeempfänger geworden), werde die Kosten aber ganz bestimmt irgendwie aufbringen! Sie sind meine einzige Chance, vielleicht doch noch auf gnädige Weise diesem furchtbaren Leben entkommen zu können!
Ich hatte mich schon damit abgefunden, doch einen „exit“ wählen zu müssen, der andere Menschen psychisch z. T. schwer mitnähme, z. B. ein Fenster, aus dem ich in den sicheren (?) Tod springen könnte oder eine Brücke über eine Schnellstraße. Zu beidem konnte ich mich bis jetzt nicht durchringen.
Noch einmal vielen, herzlichen Dank!!
Harald Schwegerich
***
25. Mai 2013
Sorry, Herr Puppe,
eine Frage lässt mir einfach keine Ruhe: Angenommen, Sie waren zu dem Beratungsgespräch bei mir. Ich habe dann ja immer noch kein Rezept! Von meinen behandelnden Ärzten ist nichts, aber auch gar nichts zu erwarten – leider!
Ein kleines Potpourri über die Absagen, an die ich mich erinnere:
„Machen Sie das schön allein und ziehen mich nicht damit rein!“
Oder: „Sie wissen, was ich machen muss, wenn Sie mich um so was bitten??“ – ODER:
„Diese Frage möchte ich NIE MEHR hören, sonst weise ich Sie ein!“
Die aktuellste Absage:
„Wollen Sie, dass ich meine Zulassung verliere?? Gibt es bei uns nicht genügend Eisenbahnen oder gibt es keine Stricke?“
Ich schreibe Ihnen das, um Ihnen zu zeigen, dass ich von denen absolut kein Rezept bekommen werde, das man auch nur im Entferntesten dafür nutzen könnte, sich zu erlösen! Wie ist diesbezüglich Ihr Plan, wie man an die nötigen Substanzen herankommen kann???
Nochmals vielen, vielen Dank für Ihre Mühe und ein sehr schönes, erholsames Wochenende!
Mit freundlichen Grüßen,
Harald Schwegerich
***
25. Mai 2013
Hallo Herr Schwegerich,
solche Fragen können NICHT per Email oder Telefon beantwortet werden, sondern nur in der persönlichen Beratung.
In der „Persönlichen Handreichung“ ist als 5. Weg eine Möglichkeit OHNE Medikamente dargestellt.
Freundlichen Gruß
Peter Puppe
***
25. Mai 2013
Das verstehe ich! Herzlichen Dank!
Wegen einem Termin für die persönliche Beratung melde ich mich, wenn ich weiß, wann ich aus der Schmerzklinik entlassen werde!
Vielen herzlichen Dank für Ihre Mühe!
Ihr Harald Schwegerich
***
28. Mai 2013
Hallo,
die Handreichung ist unterwegs!
Freundlichen Gruß
Peter Puppe
***
28. Mai 2013
Vielen Dank für die Mail!! Ich antworte umgehend, sobald ich dazu in der Lage bin, versprochen!!
Liebe Grüße von
Harald Schwegerich
Am 1. August 2013 schrieb die Mutter von Harald Schwegerich einen Brief an Peter Puppe, in dem sie ihm mitteilte, dass ihr Sohn am 17. Juli Suizid begangen habe. Sie schrieb: „Es ist uns Eltern ein großes Bedürfnis, Ihnen zu danken! Auch Harald bat mich, Ihnen in seinem Namen zu danken. (...) Er sagte zu mir an seinem Sterbetag, dies würde sein Freudentag!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen