arts & crafts: Fundgrube
Amorphes Glas
Die Bezeichung „Kunstgewerbe“ ist hierzulande nicht eine sachliche Kategorisierung, sondern meist ein vernichtendes Urteil. Wie viel selbstbewusster tönt dagegen die englische Entsprechung „Arts and Crafts“. Oder im Französischen „Arts décoratifs“, wie die derzeit im Berliner Rathaus ausgestellten Produkte des „Centré International d’Art Vernier“ (CIAV) im Vogesener Örtchen Meisenthal wohl bezeichnet werden können.
In kleinen, an Gewächshäuser erinnernde Pavillons präsentieren sich farbenprächtige wie farblose, bizarr geformte und auch nüchtern gestaltete Objekte. Ihr gemeinsamer Herkunftsort ist eine kleine Manufaktur, die neue Wege in der Glasgestaltung beschreitet. Bekannte Designer entwerfen hier Kleinserien oder leiten Workshops für Studenten der Hochschule der bildenden Künste in Saarbrücken und der „École National Supérieure des Arts Décoratifs“ in Nancy. Schwerpunkt ist die Vermittlung der Rahmenbedingungen bei der Herstellung von Glas, um daraus dem Material entsprechende Formen abzugewinnen.
Diese Maxime der Moderne führt nicht zur Eintönigkeit, wie die Ausstellung zeigt. In dem von dem Briten Jasper Morrison geleiteten Seminar etwa wurden klassische Formen von Karaffen und Trinkgläsern variiert und neue Prototypen entwickelt. Dagegen lassen die bei dem Spanier Oscar Tusquets Blanca entstandenen Arbeiten zunächst allerlei Phallusformen assoziieren; tatsächlich lag ihm daran, die Trennung zwischen Entwurf, Blasen und Schleifen aufzuheben und die Studenten für die amorphe Erscheinung des Materials während der Herstellung zu begeistern.
Andreas Brandolini, einer der Initiatoren der Ausstellung, sieht in dem grenzüberschreitenden Projekt sowohl Bewahrung als auch Fortführung der Kenntnisse und der Tradition der seit jeher in den Vogesen ansässigen Glasproduktion. Im Gegensatz zu den Vertretern der südeuropäischen Länder steht bei ihm der Gebrauchswert im Vordergrund. Deshalb erinnern die Arbeiten aus seinem Seminar auch an vertraute Formen. Der Tscheche Borek Sipek steht geografisch dazwischen, sein Ansatz ist die „Veredelung“, er brachte eine so schöne Zitronenpresse hervor, dass man nur noch „sour-Cocktails“ trinken möchte.
„touché. arbeiten mit glas in meisenthal/frankreich“, Berliner Rathaus, Rathausstraße, Berlin-Mitte, bis 14. September 2001, Mo. bis Fr., 9 bis 18 Uhr
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