arbeitsmarkt: Mehrheiten gegen Leistungskürzung
Klientelpolitik – bisher schien klar, was das heißen soll. Klientelpolitik ist, wenn der Gewerkschaftsboss an seine Arbeiter denkt, und Klientelpolitik ist auch, wenn der Spitzenkandidat der Union ein etwas größeres Herz für Unternehmer hat. So schlicht war es natürlich noch nie. Aber nun ist die Welt der Klientelpolitik ein wenig unordentlicher geworden.
Kommentarvon ULRIKE HERRMANN
Denn wenn es stimmt, was Mitglieder der Hartz-Kommission berichten, dann hat sich Isolde Kunkel-Weber, die Vertreterin der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, durchgesetzt: Das Arbeitslosengeld für Ältere wird nicht gekürzt, die Arbeitslosenhilfe nicht auf das Niveau der Sozialhilfe reduziert. Inzwischen bekannten sich alle großen Gewerkschaften zu dieser Linie.
Nur Klientelpolitik? Wäre es reiner Lobbyismus gewesen, dann wäre wieder mal zu besichtigen gewesen, wie schwach die einst starken Arme der Gewerkschaften sind. Dann wäre es nie zu diesem Verhandlungserfolg gekommen. Denn wen vertreten die Bosse der Genossen noch? Viele Gewerkschaften zählen fast mehr Rentner als aktive Mitglieder. Aber das ist egal, wenn die Gewerkschaften den mächtigsten Bündnispartner haben, den es gibt: die Mehrheitsmeinung. Und die Mehrheit der deutschen Wähler will nicht, dass die Arbeitslosen für ihre Arbeitslosigkeit mit Leistungskürzungen bestraft werden.
So jedenfalls scheinen es die Wahlkampfstrategen in der Union inzwischen einzuschätzen. Auch wenn CDU-Chefin Angela Merkel sich nicht zu eindeutigen Botschaften entschließen kann; auch wenn Kompetenz-Superminister Lothar Späth die Hartz-Vorschläge zunächst als „Revolution“ feierte – die Signale von Kanzlerkandidat Edmund Stoiber sind überraschend: Er prangert die „soziale Ungerechtigkeit“ des Papiers an.
Die Gewerkschaften und Stoiber auf der einen, Späth und der Kanzler auf der anderen Seite – mit den klassischen Mustern von Klientelpolitik hat das nichts zu tun. So etwas passiert nur, wenn die Akteure noch nicht die Positionen in ihrem jeweiligen politischen Lager vereinheitlicht haben. Wir haben Wahlkampf – wessen Glaubwürdigkeit nützt das nun am meisten? Auch hier ein Verstoß gegen die bekannten Regeln. Kandidat Stoiber mag man Freundlichkeiten gegen Arbeitslose nicht wirklich glauben – Kanzler Schröder mögliche Unfreundlichkeiten aber sehr wohl. Über einen Positionswechsel Schröders würde sich die Klientel freuen. Stoiber aber ist dieser Weg verschlossen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen