arbeitslosensozialhilfe: Vom Erwerbslosen zum Schmarotzer
Der nächste Bundestagswahlkampf naht. Und das Kampfthema ist bereits klar – schließlich hat es Kanzler Schröder selbst auf die Agenda gesetzt. Schon vor mehr als zwei Jahren, am letzten Wahlabend nämlich. Damals verkündete der SPD-Sieger triumphal und selbstgewiss: „Wenn wir in vier Jahren die Trendwende am Arbeitsmarkt nicht geschafft haben, verdienen wir es auch nicht, wieder gewählt zu werden.“ Von dieser Trendwende ist bisher nichts wahrzunehmen. Ganz im Gegenteil: Die Konjunktur flaut ab.
Kommentarvon ULRIKE HERRMANN
Also ist Schadensbegrenzung angezeigt. Wenn schon die Arbeitslosenzahlen nicht nennenswert sinken – dann will die Regierung wenigstens nicht schuld sein. Keiner soll meinen, sie hätte sich nicht ordentlich angestrengt. Und so stellte Arbeitminister Riester gestern ein Modellprojekt vor, das Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe „verzahnen“ will.
Verzahnen – das kann ein äußerst schwammiges Wort sein, wie sich dabei herausstellte. Auf der Verwaltungsebene ist noch alles klar: Arbeits- und Sozialämter sollen enger zusammenarbeiten bei der Arbeitsvermittlung. Klingt vernünftig, dass viele Langzeitarbeitslose nicht mehr an verschiedenen Schaltern anstehen müssen. Und es klingt ebenfalls gut, dass sie individuelle Beratung erhalten sollen – dass sie also nicht mehr einfach befristet in kommunale Beschäftigungsgesellschaften abgeschoben werden, damit ihre Gemeinde die Sozialhilfe spart und hinterher die Bundesanstalt für Arbeit zahlen darf.
Doch kann „verzahnen“ auch noch einen ganz anderen Sinn entwickeln. Die Arbeitgeber fordern es schon lange, CDU-Fraktionsführer Merz hat es nach Leitkultur- und Stolzdebatte als neuesten Hit entdeckt: Die Arbeitslosenhilfe müsse mit der Sozialhilfe zusammengelegt werden – um anschließend dieses Mischprodukt zu senken. Das nennt sich dann „Leistungsanreiz“: Faulenzen im „Freizeitpark Deutschland“ (Kohl), angeblich so weit verbreitet, soll sich nun endgültig nicht mehr lohnen.
Riester hat sich gestern nur halbherzig von dieser Interpretation des „Verzahnens“ distanziert. Dies signalisiert einen schleichenden Paradigmenwechsel auch bei den Sozialdemokraten: Der Arbeitslose ist nicht mehr Opfer eines Strukturwandels, sondern Täter, Leistungsverweigerer und Schmarotzer.
Wenn die Trendwende am Arbeitsmarkt nicht gelingt, dann ist nur einer schuld: der Arbeitslose. Aber auf gar keinen Fall der Kanzler.
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