american pie: Schluss mit der Viehtreiberei
Mit dem College-Sport werden Millionensummen umgesetzt, Trainer kassieren Millionengehälter.Nur die Sportler verdienen so gut wie nichts. Neue Gesetze könnten dem nun ein Ende setzen
Gut 120.000 Einwohner hat College Station. Die Stadt, die verloren im endlosen texanischen Grasland liegt, trägt ihren Namen nicht umsonst: Sie ist gebaut rund um den Campus des Texas A&M Colleges mit seinen knapp 70.000 Studenten. Das Zentrum der Universität bildet das Kyle Field, ein gewaltiger rostbrauner Bau, den man von nahezu überall auf dem Campus sehen kann. Am Samstag war die Hütte so voll wie nie zuvor: 106.479 quetschten sich in das Stadion, das offiziell nur 102.000 Menschen fasst. Dass die Aggies, wie sie ihr Sportmannschaften hier nennen, von der Alabama Crimson Tide, dem aktuell besten Football-Team der USA, eine gehörige Abreibung bekamen, tat der Partystimmung kaum einen Abbruch.
Auch anderswo waren die Stadien proppenvoll: In Clemson, South Carolina, kamen 81.500, um ihre Tigers, das aktuell zweitbeste Team des Landes, zu sehen. Das Spiel war ebenso ausverkauft wie die Heimspiele der Louisiana State University Tigers (102.321), Georgia Bulldogs (92.746), Florida Seminoles (90.584) oder Texas Longhorns, die vor 92.100 in Dallas spielten – nicht wie gewohnt vor mehr als 100.000 in Austin.
Auch die TV-Quoten sind prächtig, einige Universitäten verdienen an ihren Football- und Basketball-Mannschaften dermaßen gut, dass sie ihren Cheftrainern mehrere Millionen Dollar jährlich zahlen können. Die Einzigen, die von dem Riesengeschäft bislang kaum profitieren, sind die eigentlichen Hauptdarsteller: die Sportler. Die sogenannten „student athletes“ bekommen, wenn sie gut genug sind, ein Stipendium. Für viele Studenten aus ärmlichsten Verhältnissen ist es oft der Weg zu einer guten Ausbildung – im Vergleich zu dem, was die Universitäten umsetzen, aber trotzdem ein Witz.
Eine schreiend ungerechtes System, über das seit Jahrzehnten diskutiert wird. Und das sich bald dramatisch verändern könnte. Denn im vergangenen Monat verabschiedete der kalifornische Senat den sogenannten „Fair Pay to Play Act“. Der soll zwar erst Anfang 2023 in Kraft treten, sorgt aber schon jetzt für helle Aufregung bei den Funktionären.
Das neue Gesetz, das der kalifornische Gouverneur Gavin Newsom medienwirksam in der TV-Show von LeBron James unterzeichnete, soll die Universitäten zwar nicht dazu zwingen, ihre Spieler endlich angemessen zu bezahlen. Aber es erlaubt den Sportlern, eigene Werbe- oder Sponsorenverträge abzuschließen, und schiebt der bisherigen Praxis, dass der College-Sportverband NCAA jene Sportler bestraft, die neben ihrem Stipendium noch Einnahmen haben, einen Riegel vor. „Unsere Colleges und Universitäten sollen Student-Athleten nicht länger wie Vieh behandeln, sondern als Individuen wertschätzen“, sagte Steven Bradford, Politiker der Demokratischen Partei und einer der Initiatoren des Gesetzes.
In mindestens neun anderen Bundesstaaten werden nun ähnliche Gesetze vorbereitet. Und Anthony Gonzalez, einst selbst Footballstar der Ohio State Buckeyes, später NFL-Profi und mittlerweile US-Kongressabgeordneter für die Republikaner, will eine Initiative starten, ein Fair-Pay-for-Play-Gesetz auch auf Bundesebene zu verabschieden. „Ich denke, dass wir uns beeilen müssen“, sagte Gonzalez. „Wir haben keine drei Jahre Zeit, erste Entscheidungen werden bald fallen.“
Wenn sich in diesen Zeiten Demokraten und Republikaner zusammentun, hat die NCAA allen Grund, nervös zu werden. Ihr lange schon absurde und umstrittene Idee vom Amateursport ist nun unter konkretem Beschuss. Offiziell beklagte die Organisation nur „die Konfusion“, die das neue Gesetz verursachen würde, ohne allerdings konkret zu werden. Aber sollten die Gesetze in Kraft treten, ist eins klar: Der College-Sport wird sich grundlegend verändern müssen. Und vielleicht auch nicht zum Besseren.
Das wichtigste Gegenargument: Gut dotierte Werbeverträge bekommen nur die wenigen Superstars des College-Sports, aber wenn das ganze System ins Rutschen kommt, verlieren vielleicht viele Tausend Sportler und Sportlerinnen ihre Chance auf eine Ausbildung, denn Männer-Football und Männer-Basketball helfen mit ihren Profiten die Stipendien für andere Sportarten von Volleyball über Lacrosse bis Ringen zu finanzieren.
Ein Drohszenario jener, die Angst vor Veränderung haben, sagen die NCAA-Kritiker. Und von denen gibt es viele. Zum Beispiel Richard Sherman. Der Footballprofi der San Francisco 49ers ließ wissen, er hoffe, dass das neue Gesetz „die NCAA zerstört“. Thomas Winkler
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