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american pieDicke Eier

Wie ein kleiner Mann und große Rechenkünstler die Houston Astros zum Team der Stunde formten

Zugegeben: Um gut Baseball zu spielen, muss man kein Riese sein. Aber selbst für einen Sport, in dem es darauf ankommt, schnell zu rennen, exakt zu werfen und mit einem für diesen Zweck eigentlich ungeeigneten Holzschläger auf einen Ball einzudreschen, ist Jose Altuve besonders klein. Gerade mal 1,68 misst der Baseball-Spieler. Er ist der kleinste Profi in der Major League Baseball (MLB).

Momentan aber ist Altuve der Größte. Dass die Houston Astros heute Nacht zum Auftakt der World Series bei den Los Angeles Dodgers antreten, daran trägt der Venezolaner großen Anteil – und natürlich ein Hurrikan namens „Harvey“. Und ein paar Daten-Freaks von sehr guten Universitäten. Der kleine Altuve ist seit Jahren der große Star der Houston Astros. Die Astros waren lange Zeit grottenschlecht. Die World Series haben die Astros noch nie gewonnen, und noch vor vier Jahren beendeten sie die Saison abgeschlagen auf dem allerletzten Platz der 32 MLB-Teams mit 111 Niederlagen bei nur 51 Siegen – die wenigsten in der Geschichte des Klubs, die 1962 begann.

Nun aber sind die Astros oben angekommen – dank Altuve. Der Wirbelwind ist der Motor der Mannschaft. Die wird aber auch von einem anderen, entschieden größeren Wirbelwind angetrieben: Seit Hurrikan „Harvey“ die Heimatstadt der Astros verwüstete, sorgt der Erfolg des örtlichen Baseball-Teams für Hoffnung. Die Spieler tragen „Houston Strong“-Aufnäher auf ihren Trikots, engagieren sich in Hilfsinitiativen und spenden Geld. Im Gegenzug füllen die Einwohner der geplagten Stadt das Stadion. Die Unterstützung hat das Selbstbewusstsein der Mannschaft in bedenkliche Höhen steigen lassen, wie Nachwuchsstar Alex Bregman bezeugt: „In unserer Kabine haben alle dicke Eier.“

Hinter dieser ein wenig rührseligen Geschichte verbirgt sich aber noch eine andere, sehr viel nüchterne. Eine Geschichte von einem lange in der Mittelmäßigkeit dümpelden Klub, der eines Tages beschloss, in der Baseball-Moderne anzukommen. Und diese Moderne wird vermessen in endlosen Zahlenkolonnen und Formeln aus der höheren Mathematik. 2012 krempelten die Astros ihre Organisation vollkommen um und bauten auf akademische Expertise und datengestützte Entscheidungen statt auf die Erfahrung altgedienter Exspieler. In der Analyse-Abteilung des Clubs arbeiten mittlerweile neun Statistik-Experten: Yale- und Harward-Absolventen, Ex-Nasa- oder McKinsey-Mitarbeiter, die alle niemals selbst professionell Baseball gespielt haben. Selbst den Trainer-Posten, für den sonst vornehmlich grimmige, altgediente Haudegen qualifiziert scheinen, besetzt mit A.J. Hinch ein alerter 43-Jähriger, der zwar auch langjährige Erfahrung als MLB-Profi vorweisen kann, aber eben auch einen Abschluss von der Elite-Uni Stanford.

Dieser radikale Umbau hatte nur ein einziges Ziel: ein Siegerteam aufzubauen. Dazu revolutionierten die Daten-Junkies der Astros die bisher gängigen Methoden mit einem vollkommen neuen Denkansatz: Wie alle anderen Klubs auch versuchten sie eine mathematische Formel zu entwickeln, die eine einfache Zahl ausspuckt, um möglichst objektiv den sportlichen Wert eines Spielers benennen zu können. Doch in die Formel der Astros gingen nicht nur die harten sportlichen Fakten ein, die man verhältnismäßig leicht über einen Spieler herausfinden kann, sondern auch die sehr viel schwieriger zu ermittelnden Soft Skills wie Verletzungsanfälligkeit oder Charakter. Der radikale Richtungswechsel war nicht unumstritten, vor allem die lokalen Fans wollten sich die vielen Niederlagen nicht mehr ansehen und blieben in Scharen weg. Abseits von Houston allerdings wurde das Experiment mit Interesse verfolgt: Auch die renommierte Sports Illustrated versuchte herauszufinden, was dran sei an der ominösen Neuausrichtung. Das Resümee des Artikels war eine gewagte Prognose: „Your 2017 World Series Champions: The Houston Astros“.

Um diese Prophezeiung aus dem Jahr 2014 zu erfüllen, müssen die Astros die World Series gewinnen. Die Dodgers auf der Gegenseite haben den teuersten Kader in der ganzen MLB und zahlen ihren Profis mit 242 Millionen Dollar fast doppelt so viel wie die Astros. Thomas Winkler

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