american pie: Rivalität in Zeiten des Sturms
„Harvey“ wirbelt auch den US-Sport durcheinander. Die texanischen Baseballklubs aus Arlington und Houston können ihre Rivalität nicht einmal jetzt hintanstellen
Es hätte so schön sein können. Eine Geschichte voller Solidarität und Mitgefühl. Erzfeinde, die sich unter dem Eindruck der Katastrophe in die Arme schließen. Fans, die stehend dem Gegner aus der konkurrierenden Metropole applaudieren. Tränen auf der Tribüne, ergriffene Profisportler und neue Hoffnung für eine heimgesuchte Stadt. Ein Drehbuch, dem die Medien nur allzu gern gefolgt wären.
Nur leider wollten die Texas Rangers die ihnen zugedachte Rolle in diesem Rührstück nicht übernehmen. Die Rangers spielen Baseball. Sie sollten von Dienstag bis Donnerstag drei Mal bei den Houston Astros antreten. Daran war und ist angesichts der Verwüstungen, die Hurrikan „Harvey“ in Houston angerichtet hat, nicht zu denken. Also schlugen die Astros den Rangers vor, das Heimrecht zu tauschen. Man könne die drei Spiele doch in der Heimstätte der texanischen Rivalen in Arlington austragen. Und Ende September, wenn noch einmal eine Serie mit drei Begegnungen in Arlington anstünde, könnte man das Heimrecht wieder zurücktauschen.
Klingt logisch, ist praktikabel, wurde aber vom Management der Rangers abgelehnt. Die offizielle Begründung: Man wolle der Mannschaft nicht ausgerechnet zum Ende der Saison, wenn es um die Qualifikation für die Play-offs geht, noch ausgedehntere Reisestrapazen zumuten. „Die sollten sich mal schämen“, twitterte Astros-Pitcher Jason McCuller und warf der texanischen Konkurrenz „Gier“ vor. Die machte ein Gegenangebot: Die Spiele könnten sehr wohl in Arlington stattfinden, die Astros könnten auch alle Einnahmen behalten, aber sie sollten offiziell als Heimspiele von Houston gelten. Darauf wollten sich nun die Astros nicht einlassen.
Die Starrköpfigkeit hat ihre Gründe. Zwischen den beiden texanischen Metropolen Dallas und Houston herrscht traditionell große Rivalität, die am liebsten sportlich ausgetragen wird. Ob im Basketball mit den Houston Rockets und den Dallas Mavericks oder im Football zwischen den Dallas Cowboys und den Houston Texans: Das sind immer Spiele mit Derby-Charakter. Nirgendwo aber ist dieser Derby-Charakter so intensiv wie im Baseball, schon weil die Astros und die Rangers in ihrer langen Baseballsaison jedes Jahr sage und schreibe 19 Mal aufeinander treffen.
Dass sich die beiden Klubs aber selbst angesichts des Elends im überfluteten Houston nicht einigen können, grenzt ans Absurde. Und hat Folgen: Statt einer Serie in Texas, die sicher vor ausverkauftem Haus stattgefunden und zum Sammeln von Spendengeldern hätte genutzt werden können, statt einer Verbrüderungsshow, die angemessen sentimental inszeniert hätte werden können, müssen die beiden Mannschaften nun jeweils 2.800 zusätzliche Kilometer nach St. Petersburg in Florida reisen, damit die Spiele an einem neutralen Ort stattfinden können. Und statt die Gelegenheit zu nutzen, in Katastrophenzeiten positive Schlagzeilen zu produzieren, beschädigen sowohl die Astros als auch die Rangers ihr Image.
In anderen Sportarten geht man besser mit „Harvey“ um. Vor allem Footballteams, die sich auf die bald beginnende Saison vorbereiten, sind betroffen. Im College Football mussten die ersten Spiele in andere Städte verlegt werden, die Profis von den Houston Texans kehrten nach einem Vorbereitungsspiel nicht mehr in ihr Trainingslager zurück. Aber J. J. Watt kommt aktuell eh kaum noch zum Trainieren: Der Star der Texans stellte wenige Stunden, nachdem die Katastrophe abzusehen war, einen Spendenaufruf auf YouCaring.com ein. Seitdem wirbt der Verteidigungsspezialist in Fernsehinterviews um Unterstützung, ruft dazu auf, Ruhe zu bewahren und macht einen durch und durch präsidialen Eindruck – ganz im Gegensatz zum echten Präsidenten, zu seinen eigenen, eher hitzigen Auftritten auf dem Footballfeld und zu den Bossen der texanischen Baseballklubs. Mittlerweile sind auf Watts Konto bei YouCaring mehr als eine Million Dollar eingegangen. Thomas Winkler
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