■ Zwist von Kassen und Ärzten geht zu Lasten der Kranken: Seehofers Krisenmanagement
Die Einführung der Budgets war ein Triumph der Krankenkassen über die Ärzte. Die schlagen jetzt mit Seehofers Hilfe zurück, weshalb die Vertreter der Kassen aufschreien. Bei dem Zank zwischen Krankenkassen und Ärzten, wer für die steigenden Kosten im Gesundheitssystem aufkommen muß, werden die Streitparteien mit Bonner Hilfe jedoch auf die dummen Dritten verfallen: die Versicherten. Bei den gestern abgebrochenen Verhandlungen zur Gesundheitsreform konnten sich die Koalitionsfraktionen bloß nicht darauf einigen, auf welche Art die Arbeitnehmer geleimt werden sollen. Unstrittig ist, daß sie es sind, die die Zeche zahlen.
Jeder der 3.000 in Brandenburg niedergelassenen Ärzte hat das Jahresbudget der Krankenkassen 1996 durchschnittlich um 80.000 Mark überzogen. Sowohl die Mediziner der Mark als auch die Ärzte der Region Nordbaden wollen gegen die Rückzahlungsforderungen klagen. Die Bonner Regierungskoalition hat ein besseres Rezept. Die dritte Stufe der Gesundheitsreform soll das Steuerungsmittel des Budgets einfach abschaffen. Statt dessen sollen individuelle Richtgrößen festlegen, wieviel pro Patient jährlich ausgegeben werden darf. Und damit es nicht erneut zu unerfreulichen Rückzahlungsforderungen kommt, werden die Zügel diesmal locker gelassen. So hat ein Arzt, der die ausgehandelten Richtgrößen um mehr als 15 Prozent überschreitet, bloß die Überprüfung seiner Verschreibungspraxis zu befürchten. Den Mehrbetrag erstatten muß er erst, wenn er den Rahmen um 25 Prozent sprengt – und das auch nur, wenn er diese Überschreitung nicht durch „Praxisbesonderheiten“ begründen kann.
Das Seehofer-Ministerium plant, die Versicherten bei einer Beitragserhöhung automatisch zu höheren Zuzahlungen zu verdonnern. Die FDP schlägt dagegen vor, den Arbeitnehmeranteil bei der gesetzlichen Krankenversicherung zu erhöhen, den Arbeitgeberanteil aber nicht anzutasten. Den Abschied von der hälftigen Finanzierung rechtfertigt der liberale Medizinmann Jürgen Möllemann damit, angesichts von fast fünf Millionen Erwerbslosen dürfe sich nicht jede Beitragserhöhung automatisch auf den Arbeitgeberanteil auswirken. Es liege am einzelnen Bürger, mit dem Angebot kostengünstig umzugehen. Mit dieser Lobbypolitik lassen sich Pharmaproduzenten und Zahnärzte bei Laune halten. Aber lassen sich damit Wahlen gewinnen? Leif Allendorf
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