Zwischennutzung für Kunst in Berlin: Die Kunst im Bau

Die Immobilienwirtschaft will mit einer Inititative für Zwischennutzung den Kreativen in Berlin helfen. Artwashing nennen Kritiker das Angebot.

Berliner Fassade mit Graffiti: "The Haus"

Schmückende Kunst: das Street-Art-Projekt The Haus 2017 Foto: THE HAUS

BERLIN taz | Um Träume zu verwirklichen, braucht es manchmal vor allem Platz. Im Fall des Kunstkollektivs „Dream World“ sind es etwas über 200 Quadratmeter. Der Anspruch der Künstler*innen ist es, Traumwelten nachzustellen, Raum für Raum eine andere Welt. Abgedreht, psychedelisch, eine Art Performancetheater zum Mitmachen.

Wie viele andere Künstler*innen in Berlin stand das junge Kollektiv vor der Herausforderung, geeignete Räume für sein Projekt zu finden. „Wir hatten von Anfang an Probleme, eine geeignete Location in zentraler Lage zu finden“, erklärt Pressesprecherin von Annette Lüür, „sobald man sich auf den freien Markt begibt, sind die Mieten nicht wirklich bezahlbar für Kunstprojekte.“

Der Raum für alternative und unkommerzielle Kunst schwindet rasant in Berlin. Industriebrachen oder günstige Wohnungen, in denen Künstler*innen das ausleben können, gibt es im durchverwerteten Berlin kaum noch. Ateliermieten um die 15 Euro pro Quadratmeter sind keine Seltenheit – kaum leistbar für gering verdienende Künstler*innen oder unkommerzielle Projekte wie Dream World.

Das Dilemma ist altbekannt. Die alternative Kunst- und Kulturszene macht einen Großteil des Zaubers von Berlin aus. Dieser lockt nicht nur Tausende junge, gut ausgebildete Menschen an, die jährlich nach Berlin ziehen, sondern mit ihnen auch Finanzkapital, das aus dem knapper werdenden Wohnraum saftige Profite schlägt.

Zwischennutzung: Die Idee der Zwischennutzung ist nicht nur in der Privatwirtschaft beliebt. Auch der Senat hielt im Koalitionsvertrag fest, eine Agentur für Zwischennutzungen etablieren zu wollen. Passiert ist allerdings noch nichts.

Rarität: Als Grund nannte Daniel Bartsch, Sprecher der Senatsverwaltung für Kultur, die hohe Zahl der zu bearbeitenden Aufträge. Und viele Gebäude seien nicht ohne aufwendige Maßnahmen nutzbar: „Leerstände von Gebäuden, die ad hoc und ohne Aufwand nutzbar sind, sind in Berlin mittlerweile angesichts der nach wie vor enormen Flächenkonkurrenzen eine absolute Rarität“, so Bartsch.

Teure Luxuswohnungen und Büros verdrängen dann nicht nur die alteingesessenen Einwohner*innen im Kiez, sondern auch die Künstler*innen, die anfangs für den Hype mitverantwortlich waren. Am Ende dieses Gentrifizierung genannten Verwertungsprozesses steht meist ein langweiliger, gesichtsloser Stadtteil aus Büros und Eigentumswohnungen, der kaum noch Anziehungskraft für Neuankömmlige ausübt. Somit schwinden auch die Möglichkeiten der Investor*innen, weitere Profisteigerungen zu erzielen.

Die Erkenntnis, dass diese Form der Verwertung von Kultur nicht besonders nachhaltig ist, ist mittlerweile auch in der Immobilienwirtschaft angekommen: „Das Benzin in unserem Motor ist die Kreativindustrie“, erklärt Alexander Wolf, Sprecher der Transiträume Berlin, einer Initiative des Bundesverbands freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW).

Mit Transiträume will die Privatwirtschaft das Raumproblem der Kunst- und Kreativszene selbst lösen. „Es gibt genügend Flächen in Berlin“, ist Wolf überzeugt, „zumindest für temporäre kulturelle Nutzungen.“ Man müsse private Eigentümer und Künstler*innen nur zusammenbringen.

Diese Aufgabe soll Transiträume übernehmen: „Wir sind sozusagen Immobilien-Tinder“, erklärt Wolf verschmitzt.

Dabei setzt die Initiative auf Zwischennutzung: Nach dem Kauf einer Immobilie oder einer Fläche vergehen oft Monate bis Jahre, bis gebaut werden kann. In der Zeit bis zum Abriss sollen Künstler*innen die Flächen nutzen dürfen. Meist müssen sie dafür nur die Nebenkosten oder sehr geringe Mieten zahlen. Im Gegenzug erwähnen die Künstler*innen den Eigentümer in ihrer Öffentlichkeitsarbeit – und machen so kostenlos Werbung für das Bauprojekt und polieren nebenbei das Image des Unternehmens auf.

Transiträume entstand aus den positiven Erfahrungen vergangener Zwischennutzungen. 2017 verwandelten so 165 namhafte Künstler*innen ein altes Bankgebäude am Kurfürstendamm in eine Street-Art-Galerie mit dem sperrigen Titel „The Haus“. Das Projekt zog über 70.000 Besucher*innen an, ehe es nach wenigen Wochen abgerissen wurde, damit der Kölner Immobilienriese Pandion dort Eigentumswohnungen errichten konnte.

2018 folgte mit „Wandelism“ ein Projekt mit ähnlichem Konzept, woraufhin Transiträume gegründet wurde. Seitdem konnte die Initiative ein Dutzend Projekte vermitteln, etliche weitere sind, wenn auch durch Corona verzögert, in Planung. Wolf ist aber überzeugt: „Wir definieren gerade Berlin neu.“

Auch das Dream-World-Kollektiv hat durch Transiträume einen Ort gefunden, an dem es vergangenen Dezember für einige Wochen seine erste Ausstellung realisieren konnte: eine verlassene Kfz-Werkstatt am Ostkreuz. Unweit des Technoclubs About Blank errichtet dort wieder Pandion einen sechsgeschossigen Bürokomplex.

Eine Win-win-Situation, die den Widerspruch zwischen Immobilienwirtschaft und alternativer Kunstszene auflöst?

„Solche Deals sind höchstens eine Doppel-win-Situation für den Immobilienunternehmer“, kritisiert Kim Sonntag vom Kollektiv Kunstblock & beyond, dessen Ziel es ist, die Kunst- und Kulturszene stärker in stadtpolitischen Fragen zu positionieren. Die Öffentlichkeitsarbeit, die die Künstler*innen ohne jegliches Honorar leisten würden, hätte für die Immobilienentwickler gleich mehrfachen Nutzen: Durch den Imagegewinn würde auch der Wert der Immobilie gesteigert: „Du produzierst nicht nur ein Gebäude, sondern ein Produkt“, erklärt Sonntag.

Die Kunstprojekte, die in den Immobilien realisiert werden, bezeichnet Transiträume auf seiner offiziellen Website gegenüber Eigentümern dementsprechend als „wertsteigernde Nutzungskonzepte“.

Wie das funktioniert, wird am Erfolgsprojekt „The Haus“ deutlich. Eigentümer Pandion nutzte den Hype, um die Luxuswohnungen zu bewerben, die dort nach dem Abriss der Bank entstehen sollten. Sogar der Titel des Kunstprojekts wurde für die vor Kurzem fertiggestellte Immobilie übernommen. Sämtliche Eigentumswohnungen in „Pandion: The Haus“ waren bereits vor Bau-Ende verkauft.

Initiativen wie Transiträume kritisiert das Kollektiv Kunstblock als Versuch des „Artwashings“, als Versuch also, die negativen gesellschaftlichen Auswirkungen der Immobilienwirtschaft mithilfe der Kunst zu verbergen – sozusagen „reinzuwaschen“. „Kunst und Kultur wird hier instrumentalisiert“, kritisiert Sonntag, „nicht nur um das Image der Unternehmen aufzuwerten, sondern auch der Branche an sich.“

Die Künstler*innen, die nach wenigen Wochen wieder rausmüssten, hätten am Ende nichts davon. Ein Honorar gibt es nicht, meist müssten noch die Nebenkosten oder der Sicherheitsdienst gezahlt werden. Im Gegenteil, durch die mit den Bauvorhaben einhergehende Aufwertung des Kiezes wären die Künstler*innen selbst betroffen: „Du sägst an dem Ast, auf dem du sitzt“, so Sonntag, da man als Künstler*in sowohl Privat- als auch Ateliermiete bezahlen müsse, sei man gleich doppelt betroffen.

„Dem Vorwurf des Artwashings mussten wir uns stellen“, sagt auch Annette Lüür vom Dream-World-Kollektiv. Die Lösung am Ostkreuz sei aber eine „willkommene Möglichkeit“ gewesen. „Nachhaltiger wäre es natürlich, wenn wir etwas Langfristiges fänden“, so Lüür. Derzeit sind sie auf einem anderen zwischengenutzten Gelände an der Greifswalder Straße zu Gast, das allerdings nicht durch Transiträume vermittelt wurde.

Kim Sonntag von Kunstblock & beyond plädiert dafür, dass Künstler*innen sich mit ihrer Rolle in der Gentrifizierung kritischer auseinandersetzen: „Wenn Kunst für Stadtaufwertung genutzt wird, ist sie auch in der Verantwortung“, sagt sie.

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