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Zwischen den RillenMit Blaulicht und Sirene

GEWALT: „SZENEN EINER EHE“ (HTTPS://GEWALT.BANDCAMP.COM)

Das klingt kompromisslos und wild: Tonaler Lärm, der auf die Spitze getrieben wird mit einem brutal peitschenden Drumcomputer, der quietscht und pfeift. Dazu durchdachte, deutsch gesungene, oder besser: über den Krach geschriene Texte.

Der Berliner Patrick Wagner, früher bei der Band Surrogat und Betreiber des Labels Louisville Records, ist mit einer neuen Band wieder aufgetaucht. Ihr Name ist vielversprechend: Gewalt gibt es erst seit ein paar Monaten, schon wühlen sie die Berliner Musikszene auf.

Zusammen mit Yelka Wehmeier am Bass, Helen Henf­ling an der Gitarre und der Drum Machine DM1 spielt Patrick Wagner auf seiner Gibson-SG-Gitarre. Auftritte beginnen mit einem undurchsichtigen Sound, einem Wirrwarr aus geloopten Bassmotiven und Gitarrenlärm. Dazu leuchtet nur das Blaulicht der mittig vor der Bühne platzierten Sirene. Der endlose Loop schiebt und hypnotisiert.

Heavy-Metal-Riffs prallen auf die schrille Stimme Wagners. So bei „Pandora“, einem Song aus der Debütsingle „Szene einer Ehe“, die zwei Lieder umfasst und mit einem Kassettenrekorder im Proberaum aufgenommen wurde, und über die Bandcamp-Seite der Band erhältlich ist. Bei „Szenen einer Ehe“ fragt und schreit Wagner: „Was willst du von mir?“

Gute Frage, musikalisch gesehen entstehen sofort Assoziationen zu Big Black, Blue Cheer, Motörhead und anderen Hard-und-Heavy-Hausnummern.

Nur liefern Gewalt etwas mehr durchgedrehte Kaputtheit. Gewalts dröhnende Gitarren und der Bass sollen das Gesagte untermalen und anfeuern. Musik als Ausdruck und zur Verstärkung der Texte zu benutzen, ist allerdings kein neues Konzept.

Die expressionistische Musik vom Anfang des 20. Jahrhunderts, so wie sie die italienischen Futuristen auch komponiert haben, hat dies einst vorgemacht. Da wurde das befreite Hören gefordert, tonal objektive Definitionen der klassisch-romantischen Epoche infrage gestellt und Musik als Stimmungsbrocken beschrieben.

Nur erzeugt Gewalt die Stimmung vor allem über die Songtexte. Die Musik bleibt im Gegensatz zu dem erzählten Drama schwach. Ausdruck in den Tönen und im Lärm zu erzeugen, gelingt der Band vor allem dann, wenn Wagners Stimme die Richtung vorschrei(b)t. Zu trivial, fast melodiös und austauschbar erscheinen die Riffs, deren zwingendster Beitrag über den Drumcomputer kommt.

Die Lieder der Debüt-Single „Szenen einer Ehe“ wurden mit einem Kassetten­rekorder im Probenraum aufgenommen

Aber die Texte regen zum Nachdenken an – besonders „Wir sind sicher“. Bei Konzerten – heute beginnt in Mannheim eine Tour – fordert Wagner das Publikum sogar auf, an der Bar innezuhalten, es soll zuhören.

In „Wir sind sicher“ reiht er in apokalyptischer Aufzählung schützende und beruhigende Objekte aneinander, „Ein Prinzip. Eine Beziehung. Ein Freund. Eine Geste. Ein Lachen. Eine Distanz“, und endet am Boden mit dem Schrei: „Wir sind sicher!“ Die finale Aussage wirkt mit der wummernden Musik grotesk und herrlich prätentiös und fordert eine Auseinandersetzung mit unseren zivilisatorischen Standards. Würde die Musik die Botschaften stärker ausdrücken, hätte jeder Einzelne im Publikum entweder einen Hörschaden oder das Konzert schon längst verlassen.

Meist spielen Gewalt 45 Minuten in ihren Konzerten und beim Finale „Tier“ ballern sie mächtig drauf los. Länger hätte es auch nicht sein dürfen.

Man fühlt sich mitgenommen, fast gerädert. Wie nach einem Screamo-Hardcore-Konzert. Spätestens jetzt versteht man den Bandnamen Gewalt und macht sich noch lange Gedanken, was man da gerade eigentlich gehört und gesehen hat. Lorina Speder

Gewalt live: 30. 9., Electric Pony Cup, Mannheim, 1. 10., Jukuz, Aschaffenburg, 2. 10., Komma, Esslingen

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