Zwischen den Rillen: Glamouröses Elend
■ Die Post-Britpop-Aufbaugeneration: Belle And Sebastian, Marion und Rialto hellen britische Katerstimmungen auf
Im Juni dieses Jahres war es nach Jahren nicht enden wollender nationaler Aufwallungen endlich soweit. Der New Musical Express, amtliches Verlautbarungsorgan des Britpop, beschwor den Niedergang britischer Popmusik. Lichterloh brannten auf dem Cover Gitarre und Nationalflagge, mit vielen Zahlen und Expertenmeinungen analysierte man dann im Heft auf vielen Seiten die Krise. Die Majors, die Radiosender, Oasis – und natürlich nicht der NME – wurden als Hauptschuldige ausgemacht, regenerieren könne sich Britpop letztendlich wieder nur „von unten“, dort, wo die Leute agieren, die Musik wirklich lieben.
Das ist kein unbedingt neues Rezept, doch die Katerstimmung ist ausnahmsweise kein neuer Hype, mit ein paar Paracetamol scheint es nicht getan – zumal es nicht am kreativen Potential liegt. Gerade in England gibt es vor, während und nach den Hypes Bands zuhauf, die zuverlässig und gut die Gitarren bedienen und Songs schreiben. Bands mit festem Glauben an sich selbst und Zeit. Die sich dem Betrieb verweigern, die die richtige Musik zur falschen Zeit machen, die auch undurchsichtige Firmenpolitik unbeschadet überstehen. Beispielsweise Belle And Sebastian, Marion und Rialto.
An Belle And Sebastian beißen sich die englischen Medien die Zähne aus. Keine Interviews, keine Fotosessions, „the biggest unknown Band in Britain“, wie die Musikzeitschrift NME verzweifelt. Die Glasgower Belle And Sebastian veröffentlichen trotzdem kontinuierlich Alben, in diesen Tagen mit „The Boy With The Arab Strap“ das dritte. Nicht nur, daß sie äußerlich nicht gerade Glamour verkörpern, machen Belle And Sebastian auch noch eine Musik, die sich kaum für große Coverstories eignet: Exzentrikerpop im Geist eines Nick Drake (ohne dessen Lebensüberdruß), eines Lawrence von Felt (ohne dessen manchmal nervige Greisenhaftigkeit) oder der Tindersticks (ohne deren Aufdringlichkeit).
Bei den bittersüßen Lyrics hat man zwar oft das Gefühl, Sänger Stuart Murdoch müsse mitsamt seinen sieben Bandkollegen unter der Last von nicht wenig Teen- und Twenschmerz zusammenbrechen: „It could have been a brilliant career“, singt er gleich zu Beginn stellvertretend für ein vierundzwanzigjähriges Schlaganfallopfer. Von Schuldgefühlen wegen sieben langer Wochen Sommerferien ist an anderer Stelle die Rede.
Doch die Songs fangen das musikalisch wieder auf, mit sachten Strings, jubilierenden Trompeten, freundlichen Cellos und lockerem Folk. Weltschmerz, Selbstekel und Orientierungslosigkeit hört man da keine Spur raus, das Leben geht weiter, selbst wenn man sich „sinister“ fühlt und die Tauben am Himmel Ringelpiez spielen.
Gänzlich unberührt von den vielen Aufs und Abs diverser Popwellen scheinen auch Marion zu sein. Seit 1994 gibt es die Band aus Manchester jetzt schon. Mit einigen Singles und dem ersten Album wurden sie zwar typische Kurzzeit-Inselberühmtheiten. Doch es war nicht so, daß man in der von Marions Sänger Harding bezeichneten „Fusion aus Buzzcocks, Joy Divison und den Beatles“ die Zukunft des Pop gesehen hätte, sich also großklotzige und dauerhafte Investitionen in Marions Schaffen lohnten. So hat es ein paar Jährchen gedauert bis zu „The Program“, dem von Jonny Marr produzierten Zweitwerk. Hört man das Album, kommt aus Marions angestrebtem Urpop-, Trauer- und Punk- Crossover eher Musik wie die von U2 oder The Verve heraus. Große, pathetische Songs, die sich nicht scheuen, über sieben Brücken und Strecken zu gehen, Poprocker halt. Mit einem Gesang, der schwer an Bono, manchmal auch Ian McCollough geschult ist, mitten rein in Seele und Herz. Und wenn er dann im Zentrum des Albums „What Are We Waiting For?“ greint, bringt Harding nicht nur Britpop, sondern eine der lebenswichtigsten Fragen überhaupt auf den Punkt.
Ein Album, zwei Plattenfirmen, zweimal Chartplazierungen. Die Geschichte von Rialtos Debüt ist eine wirre. Innerhalb eines Jahres wurden Rialto gecastet, gedroppt und wieder gecastet. Eine Gewähr, daß ihnen ein zweiter Rausschmiß erspart bleibt, haben sie nicht.
Obwohl da jetzt eigentlich der Song „Monday Morning 5:19“ vor sein sollte. Eine Ode auf Liebe und Trennungsschmerz, auf Einsamkeit und Vorstadt, ein Song, der länger als eine Saison die Herzen rühren sollte und so schön ist, daß er fürs erste den Zugriff auf den Rest des Albums erschwert. Doch auch sonst beherrschen Rialto perfekt die großen und kleinen Gesten und Gefühle zwischen Orange Juice, Mighty Mighty und Oasis. Sie schwelgen in Melancholie angesichts des Endes eines herrlichen Sommers, haben Spaß an gleichförmigen Alltäglichkeiten, und sie wissen auch um die schöne Illusion nächtlicher Träume. Und wenn schon Elend, dann designt und glamourös. Am Ende rütteln sie noch mal richtig auf mit „We've been waiting so long, we know just what we want, because we are the underdogs“ und sprechen damit den Tausenden von Jungs und Mädchen, die Britpop machen wollen oder zumindest kaufen, aus tiefstem Herzen. Sorgen machen braucht sich da auch in Zukunft niemand. Gerrit Bartels
Belle And Sebastian: „The Boy With The Arab Strap“ (Virgin)
Marion: „The Program“ (Motor)
Rialto: „dito“ (Wea)
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