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Zwischen den RillenDramaturgie als Schatten ihrer selbst

■ Techno-Minimalismus à gogo: Die 1.000 Arme des Mike Ink

Mike Ink ist Love Inc. ist Gas und was der Projekte mehr sind. sein kreativer Output bewegt sich seit Jahren im roten Bereich – und findet nun durch die fast gleichzeitige Veröffentlichung von zwei Langspielplatten und einer Mini-LP einen vorläufigen Höhepunkt. Ganz nebenbei hat Ink die Infrastruktur deutscher Technokultur mitbestimmt. Die Gründung des Kölner Deliriumladens gehört dazu genauso wie die dortigen Szeneaktivitäten zusammen mit Jörg Burger aka The Bionaut und dem Elektronikduo Air Liquide. Dadurch kam wiederum der Kontakt zur Frankfurter Szene um das Label Force Inc. zustande. Dort bringt Mike Ink die Platten heraus, die die konzeptuellen oder ökonomischen Fähigkeiten seiner eigenen Labels (Profan, Studio 1 und andere) übersteigen.

Mike Ink ist Techno pur. Bei ihm läuft der 4/4-Beat, das erklärt seine derzeitige Popularität. Denn die Technowelt ist ja längst gespalten in zig Szenen, von denen die eine nicht weiß, was die andere tut. Ink fungiert darin als integre Figur, die für den Kern von Techno steht. Sein Repertoire reicht dabei von Love Inc.s 94er Clubhit „R.E.S.P.E.C.T.“ bis zu verzerrten Beats, über die er ein Reinhard-Mey-Sample legt („Und Knochen in Tyrannis“). Im Zentrum befindet sich aber ein Minimalismus, den man sich radikaler kaum vorstellen kann. Diese Tracks nennt er selbst „asketische Cocktail-Grooves“, sparsamst arrangierte Stücke, in denen Dramaturgie nur noch als Glasfaserminimalismus: Backcover von „Life's A Gas“

blasser Schatten ihrer selbst vorkommt. DJs lieben diese Musik, weil man sie so schön in Sets einbauen kann. Andererseits ist ihnen jedes euphorisierende Element entzogen, so daß sie genauso für Leute attraktiv werden, die nichts mit dem anfangen können, was DJs so machen. Außerdem ist es leicht, in die minimalistischen Beats von Ink eine konzeptuelle Vorgehensweise hineinzuprojizieren, was einen erwachsenen Umgang mit Musik suggeriert. Dieser Brückenschlag zwischen Minimal art und Konzeptkunst ist ja auch kunstgeschichtlich beglaubigt.

Dahinein paßt wunderbar – als ginge der hinter der ganzen Mike-Ink-Story vermutete Masterplan nun endlich auf – die erste LP von Love Inc. Schon allein die Covergestaltung von Bianca Strauch ... Der Umschlag zeigt zwölf von Typographie befreite Cover anderer Platten, die zum Basisbestand der letzten 20 Jahren gehören: Miles Davis, T.Rex, Hot Chocolate, Bee Gees, Roxy Music, Scritti Politti, Kraftwerk. Sieht aus, als sollte Nick Hornsbys Roman „High Fidelity“ auf den retrographischen Beat gebracht werden. Oder ist das der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit? Die Rache des Findelkinds Techno an den Eltern Pop und Rock?

Nein. Ganz im Gegenteil. Stand Love Inc. im Ink-Spektrum immer eher dem Glamour nahe, erweist sich der Produzent hier auch mehr als Connaisseur denn als bissiger Kommentator. Wenn man die musikhistorischen Samples überhaupt als solche erkennen kann, dann erscheinen sie als selbstverständlicher Bestandteil der Love Inc.- Grooves. Da ist keine Häme und schon gar kein erhobener Zeigefinger eines Plattensammlers, der mit seinen privatuniversalistischen Kenntnissen nervt. Der Riff von Marc Bolans „Hot Love“ wird in so einen Kontext gestellt, daß er nach vier Takten schon gar nicht mehr auffällt. Und die fragile Gitarrenarbeit im Roxy-Music- Song „True to Life“ bekommt hier einen ambienthaften Umhang, in dem sich ihre Schönheit fünfzehn Minuten lang entfalten kann. Die Platte besticht durch diesen Umgang mit Musikgeschichte, ist aber nicht darauf zu reduzieren. Love Inc.s über die Jahre entwickelter Klub-Appeal wird hier genauso zitiert – und bleibt bei allen Andeutungen auf andere Geschichten der eigentliche Plot.

Das ist auch der Fall bei Mike Inks erster Arbeit für das altehrwürdige englische Technolabel Warp. „Paroles“ zapft die Energie von Prodigys „Fire Starter“ an; die breakbeatigen Remixes von Autechre und T Power wirken im Inkschen 4/4-Universum noch etwas fremd. Den Namen der drei „Polka Trax“ (auf Vinyl gibt es vier) wollen wir mal als Schielen auf Novelty-Effekte zugunsten des Einstiegs ins britische Geschäft werten und weniger als Anknüpfung an genuin deutsche Rhythmustraditionen, wie Ink kürzlich in einem Interview kundtat. Musikalisch bewegt er sich mit ihnen nämlich in seinem Gebiet: den kühlen und von allen Bezügen entschlackten Beats.

Die sechs unbetitelten und jeweils über zehnminütigen Tracks auf der ersten LP des Ink-Projekts „Gas“ sind als Ergänzung zu den beiden anderen Platten unbedingt zu empfehlen. Als sei in ihnen elektronisches Rauschen. Die Reste von Samples, die Schlacke, aus denen er seine minimalen Tracks schneidet – hier bilden sie diffuse Klangwolken, die sich ab und an zu weitgespannten Melodiebögen formen. Unten, ganz tief, wummert dumpf ein Beat, der träge schleppt, während er sonst elegant schreitet. Martin Pesch

Love Inc.: „Life's a Gas“ (Force Inc./Efa)

Mike Ink: „Polka Trax feat. Paroles“ (Warp/Rough Trade)

Gas: „Gas“ (Mille Plateaux/ Efa)

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