Zwischen den Rillen: Ruf des Sauerstoffs
■ Elektronik will „richtige Musik“ sein: „Oxygene 7-13“ von Jean Michel Jarre
Weihnachten 1976. Ein Herzenswunsch geht in Erfüllung. Ich bekomme Jean Michel Jarres Langspielplatte „Oxygene“ geschenkt. So schnell wie möglich entschwinde ich dem Familienfest, um mich neben der Stereoanlage meines älteren Bruders, die er natürlich eigenhändig zusammengelötet hat, unter die voluminösen Kopfhörer zu setzen. Um den frühpubertären Glückszustand zu extensivieren, mußte man in jener Prä-CD-Zeit noch ständig aufstehen und den Tonarm auf die Anfangsrille von „Oxygene IV“ setzen, dem Hit des Albums, mit dem der gute Jean Michel ein paar Franc auf sein Konto gescheffelt hat. Das war toll. Und funktionierte für den Zwölfjährigen, der ich war, vollkommen problemlos inmitten erster Versuche, sich im Progrockland von Genesis, Yes, Mike Oldfield und Emerson Lake & Palmer zurechtzufinden. Daß da einer ganz alleine, nur mit Synthesizern, eine ganze Platte aufgenommen hat – dieser Umstand war nicht der Rede wert, war man doch vertraut mit den Fotos von Rick Wakeman oder Michael Banks in ihren Keyboard-Burgen.
Mehr als 20 Jahre später. Nachdem Jarre etliche Platten veröffentlicht, in Paris vor Millionen Leuten und als erster westlicher Star in China gespielt hat, bläst er den Staub von den alten Geräten und setzt sich noch mal hinter seine Analogsynthies. „Oxygene 7-13“ knüpft musikalisch und technologisch an seinen Klassiker an. Den Reiz der alten Technik erklärt er mit deren nicht vorhandener Speichermöglichkeit. Jeder Klang ist vergangen, sobald er generiert ist, und kann von keiner Festplatte mehr abgerufen werden. Dies ist wesentlich für jede analoge Musikproduktion und führte zum Mythos, daß in jedem Ton etwas steckt von der Persönlichkeit des Musikers, etwas, das nicht willkürlich reproduzierbar ist.
In einem Interview mit der englischen Zeitschrift Creator verbindet Jarre diesen Rückgriff auf die alten Maschinen mit einem Kulturpessimismus, der sich gewaschen hat. Insbesondere die Samplertechnik ist für ihn Grund, die aktuelle Musikproduktion in Bausch und Bogen abzulehnen. Es sei zu einfach geworden, und die Computertechnik mache aus den Produzenten „faule Diener“ der Geräte, in denen die Klangwelten abgespeichert sind. Er dagegen habe kein Interesse mehr daran, gesampelte Wind- oder Meergeräusche zu verwenden, denn die seien tot. „Ich will keinen toten Wind auf meinen Platten haben“, sagt er und ergänzt, daß die von ihm kreierten Sounds, die Assoziationen zu derartigen Naturgeräuschen verursachen, vergleichbar seien mit impressionistischen Gemälden. Klar, daß ein paar Sätze weiter auch noch das Internet und die virtuelle Realität ihr Fett abbekommen.
Wie auf dem Vorläufer von 1976 fließen auch auf der „Oxygene“-Neufassung die Klänge dahin. Winde säuseln, steigern sich zu einem Brausen, machmal zu heftigen Böen. Wolken bilden sich, treiben schnell über weite Landschaften, lösen sich auf, und der Sternenhimmel beeindruckt mit unendlicher Weite. Delphine flitzen durchs Meer und durchstoßen voller Lebensfreude dessen Oberfläche.
Das beherrscht Jarre meisterhaft. So gesehen ist sein Werk der Blueprint für die Bilderwelt, die mit elektronischer Musik verbunden wird. Die Möglichkeiten der Musiktechnologie wurden von ihm immer kurzgeschlossen mit denen, natürliche Prozesse nachzubilden. Noch in den Hochzeiten von Techno sind Plattencover und Videos von solchen Images beherrscht, obwohl die Musik eventuell einer ganz anderen Intention folgt.
Die fließenden, weiten Sounds von Jarre, wahlweise mit oder ohne Beats, sind selbstverständlich auch Vorläufer einiger Subgenres von Techno, Trance, Hardtrance, Goa oder Dreamhouse; diese Spielarten, die in den letzten fünf, sechs Jahren ihre Szenen und Erfolge hatten, nutzen genau die Möglichkeiten, die Jarre entwickelt hat: ruhige, melodiöse Sounds mit repetitiver Rhythmik zu verbinden.
Obwohl er in den letzten Jahren immer wieder versucht hat, durch bestimmte Remixaufträge Anschluß an die Technoszene zu finden, hat Jarre dort nie die Reputation erlangt, die mit der anderer Veteranen elektronischer Musik (zum Beispiel Kraftwerk) vergleichbar wäre. Vermutlich liegt das an seiner grundsätzlichen Musikalität. Man hatte immer – und auch seine neue Platte bestätigt das – den Eindruck, als könne der Mann genauso mit Orchester und Chor arbeiten, um seine Breitwandkompositionen zu verwirklichen. Jeder Takt sagt, ich will richtige Musik sein. Die Infragestellung von Musik als künstlerischem Medium, die ein Wesenselement von Techno ist, hat bei Jarre keine Chance. Da bleibt er ganz der Sohn des Mannes, der den Soundtrack zu „Lawrence von Arabien“ geschrieben hat.
Genau das gehört zu dem Aspekt, der Jarres Platten auch für „anspruchsvolle“ RockhörerInnen akzeptabel macht. Seine Stücke sind keine Tracks, sondern durchkomponierte Einheiten, in denen liedhafte Muster mit vermeintlich verzwickten Dingen in Sachen Harmonik und Rhythmik verbunden sind. Dazu kommt ein Hang zum gefälligen Wohlklang, der vor Richard- Clayderman-Melodien nicht zurückschreckt, sondern sie eher noch mittels Moog und Fairlight in die Ohrwindungen bläst, auf daß sie so bald daraus nicht verschwinden.
Insbesondere darauf kann sich eine Promokampagne verlassen, die Jarre omnipräsent zwischen „Wetten, daß...“ und taz als Popereignis inszeniert.
Martin Pesch
Jean Michel Jarre: „Oxygene 7-13“ (Epic/Sony)
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