Zwischen den Rillen: Schöner grabbeln
■ Namedropping! Nostalgia! Nutra Sweet! Am Wühltisch mit Space und Saint Etienne
Auch Tommy hat euch lieb. Von Tommy Scott, Sänger und Songwriter der britischen Band Space, ist überliefert, er habe sich anfangs als Rapper versucht, bis das Votum des Publikums ihn eines Besseren belehrte – die Bierflaschen, die geflogen sein sollen, deutete er als ein „Zeichen“. Heute spielen Space gut organisierten Retrokitsch. Und ganz vorne mit in Cool Britannia. Ihr Album „Tin Planet“ kletterte auf die Pole Position der Longplay-Charts.
Gewöhnlich gut unterrichtete Beobachter diagnostizierten daraufhin flugs den Tod des Patienten Britpop. Die Wahrheit ist schlimmer: Lange gab es keine Band aus dem heiligen Pop-Kingdom mehr, die sich ein solch barockes Universum der Unterhaltungsmusik zusammenzimmerte, eine Welt für sich, in deren Sphären sich Ikonen und Mythenmänner als Lebenshelfer und wahre Engel gütlich tun. Namedropping! Nostalgia! Nutra Sweet!
Tommy Scott trägt genau jenen Namen, mit dem der junge Tom Jones Anfang der 60er erste Grüne-Witwen-Clübchen enthusiasmierte. Das Eröffnungsstück des Albums, „Begin Again“, paraphrasiert nichts anderes als Tom Jones' „Delilah“, und im Song „The Ballad Of Tom Jones“ schließlich findet ein todessehnsüchtiges Pärchen wieder zusammen, der Stimme des Herrn im Radio sei Dank.
Space spielen uraltes Gefühlskino, in die Auslage stellen sie ein paar Stories featuring Elvis, James Dean, Buddy Holly und „Charlie M.“ (wie Manson, das für die Anhänger der „Dark Side Of The Moon“), Broken Hearts, Unfinished Dreams, richtige zwischenmenschliche Probleme, wohin du auch hörst. Auch tauchen auf der Vaudeville-Bühne des Tommy Scott genügend Typen auf, die der Songwriter aus seiner Kindheit hervorkramt: Transvestiten, Serienmörder oder „the man who could kill for love“ (er selbst!). Ganz selbstlos nehmen die fünf Liverpudlians die halbe Popgeschichte im Vorbeigehen mit; Kinks, Bowie, Bacharach und Pulp '86 kumulieren im wolkigen Orchestersound zum freakigen Music-Hall-Event, obendrauf gibt's einen Bee-Gees-Flashback (vgl. „The Man“ mit „Stayin' Alive“). Und waschechten Disco-Rummel. Aber Disco im Popsinne der 70er mit veritablen Melodien – das bißchen Elektronik auf dieser Platte ist Gimmick.
Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Mit zirka jedem fünften Song gelingt Space ein unbedingt memorierwürdiges Stück Pop, extraprätentiös und -manieriert, aber von einträglichen melodischen und arrangementtechnischen Qualitäten. Den besten Space-Song gab's ja schon letztes Jahr: „Female Of The Species“ konnte man 97 nicht entkommen, wenn man über die Camdener Trödelmeile zog. Die dazugehörige CD „Spiders“ hat Witz von der Sorte, mit der eine Horde drunken lads einen kompletten Abend in einem Pub bestreiten kann. „If I Wanted To Be Someone, I Think I Would Be Margaret Thatcher“, singt da Tommy Scott mit der Stimme eines Halskranken. „She's So Cool, I Think She Could BeQueen“.
„Good Humor“ heißt die neue CD von Saint Etienne. Humor sollte man als erklärter tastemaker schon besitzen, um sich anno 1998 in Interviews inspirationsquellenmäßig zu Chris Rea zu bekennen. Um eine Albumpause zu beenden, die ewige drei Jahre dauerte. Um sich zu weigern, jemals richtig berühmt im Mainstream zu werden. Das hat Geschichte – so zirka ab 1990. Saint Etienne wollten die Verhältnisse zum Fliegen bringen, was ihnen zeitweise gelang. Songs wie „Avenue“ „Railway Jam“ und „Join Our Club“ waren Prototypen für gravitationsfreie Popmusik, die auch auf den Dancefloors der 90er eine gute Figur abgab. Bob Stanley und Pete Wiggs, zwei Surrey-Boys und Songwriter für die transzendentalen Stunden, Sarah Cracknell, das – hey! – perfekte Sixties-Girl mit dem entscheidenden Schmelz in der Stimme, das Lolli-Pop erwachsen werden ließ. Eine menage à trois, die mit Julie-Burchill- und Jon-Savage-Texten auf ihren Plattencovern fein bedient wurde.
Während die Happy Mondays und später Primal Scream und Suede groß und kaputt, verworfen und stoned und echt visionär in die Welt heulten, spielten Saint Etienne moody Soundtracks für schwer realisierbare Filme, aus denen man irgendwie glücklich rausging. „I Never Felt So Good, I Never Felt So Strong, Nothing Can Stop Us Now“ – Futter für deine Seele in der blue hour. Flöten umspielen die Klippen eines verlassenen Kaffs down by the seaside. Sehr imaginär! Sehr britisch, auch!
„Good Humor“, aufgenommen im schwedischen Malmö, markiert nun den kontrollierten Spielzug ins vordere Mittelfeld der Restauration, eben dort kann man auch zwischen Ocean Colour Scene und den Boo Radleys auftreten. Grundsätzlich sind alle Songs auf dieser CD schön. Wir hören Seventies- Soul, Jazz für Charlie-Brown- Fans, beatleske Keyboards („Mr. Donut“), Brass-Sections wie aus einer Dexys-Doku. Sarah Cracknell singt Debbie Harry („Sylvie“), und die Musik spielt in der Disco. Aber haben Stanley, Wiggs & Cracknell nicht etwas zu intensiv in ihrer Record Collection gegrabbelt? Oder ist diese Platte ein Witz? Glauben Sie Ihrem Medienabschnittspartner, richten Sie sich ein: Weitere 1.000 Jahre Britpop stehen uns bevor. Frank Sawatzki
Space: „Tin Planet“ (Gut/Intercord)
Saint Etienne: „Good Humor“ (Creation/Sony)
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