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Zwischen den RillenEin letztes Nicken der Plattenkenner

■ Genug geredet, jetzt gehen wir steil: Techno aus Köln von Forever Sweet

Es gab sie immer, diese Diskrepanz von Zurückhaltung und Ausdruckswillen in jener Szene, die man in den letzten Jahren mit neuer, aus Köln kommender elektronischer Musik verbindet. Nie war dort aktuell, was in Frankfurt oder Berlin auf wiederum unterschiedliche Weise mit Techno verbunden wurde: die Party ohne Netz, aber mit dem doppelten Boden aus Mission und Kommerz.

In Köln herrschte stets, auch in den frühen Jahren, eine Sophistication, mittels der man dort, fast schon blasiert, Techno nur als Widergänger einiger Pop-Ideen aus den achtziger Jahren betrachtete.

Wer allerdings in letzter Zeit einen genaueren Blick auf die dortige Landschaft geworfen hat, sieht erstaunt, daß die Leute feiern können (und wollen) wie Harry. Was sich da motorisch ausdrückt und derzeit als Tonträger veröffentlicht wird, scheint zum zehnjährigen Acid- House-Jubiläum sagen zu wollen: genug geredet, jetzt gehen wir steil. Wo andernorts Historisierung und Nachlaßverwaltung in vollem Gange sind, wird in Köln, wo sich auch schon mancher Nachlaß angesammelt hat, der Staub weggepustet und zum Angriff auf den Club geblasen. Man muß sich nur mal die neuen Platten von Mike Ink (der hier als Betriebsältester als Weichensteller gelten soll) unter dem Namen Strass anhören, um zu ahnen, was da passiert.

Obwohl es musikalisch ganz andere Wege geht, ist auch das Debütalbum von Forever Sweet in dieser Perspektive zu sehen. Nicht umsonst lassen Reinhard Voigt, Tobias Thomas und Michael Mayer die Platte mit dem Titel „Don't speak“ beginnen, der beherrscht wird von einem Satz aus einem Abba-Song: „I don't wanna talk.“

Auch der Albumtitel „Geben & Nehmen“ spielt mit einer Dichotomie, an der sich über die Jahre eine personell zwar kleine, bezogen auf die deutsche Musikszene aber äußerst wirkungsvolle soziale Gemeinschaft abgearbeitet hat. Man muß sich die Kolumne „1000 Zeilen House“ im inzwischen eingestellten Magazin House Attack von Tobias Thomas in Erinnerung rufen, in der er versuchte, das eigene Leben an den Weltenlauf ästhetisch (das heißt hauptsächlich über Musik) anzukoppeln. Das war wortreich vorgetragener Ausdruck von Leiden und Reflexion. Und das paßte so gut zum Agieren von Thomas und Mayer bei ihren DJ-Sets als Friendz Experience. Zwei eher schüchterne junge Männer, die kaum aufzuschauen wagten, wenn es vor ihnen langsam zu kochen anfing, als wollten sie es gar nicht glauben. Mit „Geben & Nehmen“ scheint das Erstaunen wie der Unglaube gleichzeitig aufbewahrt zu werden. Was sie genommen haben, geben sie, was sie an ideellem Input gaben, nehmen sie hier selbst zurück.

Man spürt es, wenn man die Platte über das erste Stück hinweg verfolgt. Das Statementhafte des Vocal-Samples, der damit genannte Schlußstrich, wird formal zwar durchgehalten, weil es die einzigen Worte auf diesem Album bleiben. In inhaltlicher Hinsicht wird er aber allmählich wieder eingezogen: Weil die verbale Stellungnahme, die sich auf eine bestimmte Haltung gegenüber der Musik (tanzen, nicht reden!) bezieht und die bewußt als eine Art Intro verwendet wird, der einzige Hinweis auf ein Außen der Musik, auf ihre mögliche Rezeption bleibt.

Es gibt hier nicht die (für Köln auch typischen) Pop-Zitate, es gibt nicht die idiosynkratisch anmutenden Etüden minimaler Rhythmik, nicht das Anstreben einer geschmackssicheren Warte der eigenen Produktion gegenüber der eigenen Plattensammlung. Nein, je länger die Platte läuft, desto deutlicher bringt sie ein autonomes Stück Musik nach dem anderen hervor.

Macht das Abba-Sample den Einstieg leicht, schließt sich die Platte danach immer mehr hermetisch ab. Sie ist auch dadurch nicht einfacher zu öffnen, daß man sie der Oberfläche ihres Sounds und Tempos nach leicht ein House-Album nennen könnte. Das Kölner Trio hat den Mut, mit jedem Stück die Musik deutlicher zu machen. Man spürt es an der sich allmählich steigernden Psychedelik. Die Tracks scheinen immer länger zu werden, sie verlieren an innerer Kohärenz, die Eigendynamik von Rhythmen und übereinanderlaufenden Loops gewinnt langsam an Stärke und schwächt die vielleicht einmal intendiert gewesenen Arrangements. „Last Minute“, das vorletzte Stück, ist dann ein fast delirantes Vorwärtsstapfen, das als solches aber Schönheit, weil Eigensinn hat. Ganz zu schweigen vom abschließenden „Super Trouper Extra“. Als sollten die Plattenkenner noch mal nicken dürfen, birgt der Titel einen Abba-Verweis. Die Musik wuchert aber über jeden clever vermerkten Kauftip für den nächsten Besuch auf dem Flohmarkt hinweg.

Es hat lange gedauert – und auch die hier beteiligten Leute haben daran mitgearbeitet – bis Techno/House/etc. das verbale Umfeld bekam, daß Kommunikation darüber möglich wurde. Bei Forever Sweet scheint jetzt so etwas wirklich werden zu können: Die Musik wächst über das Wissen ihres Kontextes hinaus.

Martin Pesch

Forever Sweet: „Geben & Nehmen“ (Ladomat 2000/Rough Trade)

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