Zwischen den Rillen: Kein liebes Lied
■ Grauzonen des HipHop: Everlast und Kinderzimmer Productions
Ob hier bei uns oder dort, wo sie HipHop erfunden haben. Die Frage ist: Wo geht die Reise hin? Etabliert sich Rap hier endgültig in den Spitzenregionen der Charts? Wird es dort noch mehr Puffys regnen bzw. hier bald der erste bundesrepublikanische Puffy passieren? Die Antwort, so scheint es, ist: ja.
Doch dort und hier ist auch lange schon genug Platz für einen HipHop-Entwurf zwischen dem Untergrund und dem Radiofutter. Die wirklich interessante Frage ist vielleicht eher: Wer besetzt diese Einöde?
Kandidat eins, deutsch: Kinderzimmer Productions, ein Duo aus Ulm, das vor drei Jahren ein vielbeachtetes Album veröffentlichte. „Im Auftrag ewiger Jugend und Glückseligkeit“ war eine Platte, die so nur in der Provinz entstehen konnte. Zum einen traditionsbewußt und voller Anspielungen auf die US-Originale, andererseits vor allem in den Reimen von Rapper Textor geprägt von dem unüberhörbaren Verlangen, den eigenen Weg zu finden.
„Im Auftrag ...“ war offiziell ihr erstes, aber eigentlich schon ihr zweites Album, nachdem ihr eigentliches Debüt wegen Copyright-Problemen eingestampft werden mußte. Damals wirkte diese Unentschiedenheit manchmal noch unreif, kurz darauf schienen die Hamburger Kollegen den Weg zum Deutsch-Hop gefunden zu haben. Hört man ihre neue Platte „Die hohe Kunst der tiefen Schläge“, stellt man nun fest, daß ihr Weg schon immer nur ihr Weg war.
Auf anderen Platten wird das Pumpen der Bässe beschworen und empfohlen, möglichst laut aufzudrehen. Kinderzimmer Productions beginnen mit einer Warnung: „Wenn Sie empfindliche Boxen haben, ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, um die Lautstärke ein wenig abzusenken.“
Wieder haben Textor und DJ Quasi Modo sich ihre Samples ausschließlich selbst zusammengesucht, anstatt die standardisierten Programme zu benutzen, auf denen die erfolgreichsten Tracks von heute aufbauen. Das Ergebnis ist ein zwar etwas kratziger, aber halt auch flauschiger Sound, der einerseits angenehm altmodisch wirkt, andererseits aber auch völlig unamerikanisch und verkopft. Es wirkt wie ein vorsichtiger Protest gegen den Erfolg der traditionsloseren Kollegen, wie eine Erinnerung daran, woher diese Musik einmal kam.
Die Zitierfreude setzt sich in den Raps fort: Die Anspielungsdichte hat geradezu Blumfeldsche Ausmaße, auch wenn hier weniger Literatur als vielmehr Old-School-HipHop geplündert wird. Ansonsten leistet sich Textor den Luxus, zwar hin und wieder die alten MC-Spielchen zu spielen und ganz sanft mit dem eigenen Können anzugeben, aber meistens wird geplaudert, diskutiert und gestritten wie am WG-Tisch, nur daß Textor alle Rollen selber spricht.
Auch hier setzt sich die Unentschiedenheit fort, nichts scheint dem Mann so verhaßt wie eine klare Meinung. „Schon möglich, daß ich meistens zerstreut bin“, rappt er, „und die Betroffenen darüber nicht erfreut sind.“ Eines immerhin scheint sicher: Trotz eines fröhlich pfeifenden potentiellen Hits wie „Doobie“ werden unsere Freunde aus dem Kinderzimmer all die Beginner, Brote oder Fantas nicht aus den Charts schubsen. Dazu sind ihre Lieder noch lange nicht lieb genug.
Kandidat zwei, amerikanisch: Everlast aka Erik Schrody, wohnhaft in Los Angeles, der noch minderjährig in Ice-Ts Rhyme Syndicate mitmachte und Anfang der 90er mit House of Pain der Welt Proleten-Rap schenkte. Auf „Whitey Ford Sings The Blues“ verkündet erst mal eine soulige Frauenstimme: „The white boy is back.“ Von da an ist HipHop nicht mehr HipHop. Oder auch: Notfalls ist jetzt alles HipHop.
Schrody hat sich die neue Rolle Whitey Ford gewählt, weil der Name zwar klingt wie der eines Mafioso, tatsächlich aber von einem legendären Baseball-Pitcher der New York Yankees stammt. Der Name ist Reverenz an die gute alte Zeit und somit Teil von Schrodys Projekt, der Welt klarzumachen, was alles schon HipHop war, bevor der überhaupt erfunden wurde. Schon hat er Konzerte angedroht, die nur aus HipHop-Versionen von Songs von Neil Young, Johnny Cash, Willie Nelson oder Dr. John bestehen.
Daß ausgerechnet der als Stumpfhopper verschrieene Everlast sich nun auf die Suche nach den Wurzeln begibt, ist überraschend. Noch überraschender allerdings, wie elegant diese Suche klingt. Allein das eher quälende „Hot to Death“ mit seinem monotonen Metal-Riff erinnert noch an alte Zeiten. Exemplarisch für den neuen Everlast steht eher die Single „What It's Like“, auf der eine unsichere akustische Gitarre verloren über einem spartanischen Beat daherklimpert.
Darüber schlüpft Everlast sprechend in verschiedene Rollen am Rande der Gesellschaft. Das Ergebnis ist eine Art FolkHop, Woody Guthrie über Breakbeats. Einen Track zuvor, auf „Ends“, klang er noch wie der poppige Frank Zappa. Mitten zwischen diesen Polen und mit ein paar wirklich coolen Beats im Gepäck läßt es sich so gemütlich wie unaufgeregt rappen.
Daß Everlast am letzten Studiotag einen Herzinfarkt erlitt, wird gerne in einem Authentizität suggerierenden Tonfall angeführt, aber tatsächlich ist diese Platte die eines weißen B-Boy, der sich endlich wohl fühlt in seiner Haut. Es mag die Gefahr bestehen, daß Everlast demnächst zum HipHop-Springsteen verkommt, aber solange es nicht soweit ist, hört es sich grandios an. Thomas Winkler
Kinderzimmer Productions: „Die hohe Kunst der tiefen Schläge“ (CD: Epic/Sony, Vinyl: Kinderzimmer Productions/EFA)Everlast: „Whitey Ford Sings The Blues“ (Tommy Boy/eastwest)
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