Zwischen den Rillen: Budweiser Hochdramatik
■ Knödelrock aus Amilanden: Vorwärts zurück mit Creed und Days of the New
Das fängt schon bei der Verpackung an. In leicht fahlen Brauntönen suggerieren die Cover der neuesten Veröffentlichungen von Creed und Days Of The New Erdverbundenheit, den Dreck, der so anfällt, wenn das Leben gelebt wird. Denn mögen die Zeiten noch so glamourös sein, Hollywoods Filme immer aseptischer werden, mag auch in der Musik die Technik vorlaut piepsen, der Amerikaner mag weiter doch am liebsten seine Rockmusik hören, die von echten Bands aus Fleisch und Blut gespielt werden muss. Es ist eine alte, halb versunkene Welt, an der diese Leute hängen, eine Welt aus Budweiser-Ausdünstungen, Männerschweiß und -freundschaft.
Suhlen im Dreck des Lebens, aber mit heroisch geballter Faust: CreedAbb.: Cover
Creed zum Beispiel haben von ihrem Debüt „My Own Prison“ vorzugsweise auf dem flachen Lande soviel verkauft, dass es gleich zu dreimal Platin gereicht hat. Trotzdem war das Quartett aus Tallahassee, Florida, selbst in US-Medien kaum ein Thema – und auf dieser Seite des großen Wassers bis unlängst weitestgehend unbekannt.
Von einer Band mit dem Namen „Weltanschauung“ sollte man zwar annehmen, dass sie sich selbst wichtig nimmt, aber Creed geben in Interviews überraschend bereitwillg zu, dass es über sie absolut nichts zu erzählen gibt. „The Triumph of Everyguy Rock“ überschrieb der amerikanische Rolling Stone bezeichnenderweise seine Creed-Geschichte.
Zahlen mit vielen Nullen aber sind ein weltweites Argument, weswegen der Nachfolger „Human Clay“ auch hierzulande in einschlägigen Kreisen als Meilenstein der Rockmusik gefeiert wird. Die Frage ist nur: Meilenstein auf dem Weg wohin? Geht man von „Human Clay“ aus, dreht sich Rock, wie wir ihn kannten, inzwischen nur noch erfolgreich im Kreis.
So hören sich Creed dank gleichem Studio und gleichem Produzenten genauso an wie auf ihrer ersten Platte und ziemlich exakt so wie Pearl Jam zu Zeiten ihres ersten und erfolgreichsten Albums „Ten“. Der stete Wechsel zwischen laut und leise, die breiten Gitarrenwände und das meist mittelschnell und bleischwere Tempo werden überaus souverän und mit einem übergroßen Hang zur kitschigen Geste abgehandelt. Aber vor allem gemahnt die Stimme von Scott Stapp an das Hochdramatikorgan von Eddie Vedder.
Nun waren aber auch Pearl Jam Teil einer Rückbesinnung auf nur scheinbar für immer verloren gegangene Erfolgsrezepte aus den mittleren bis späten 70er-Jahren. Mit leicht zitternder Stimme begrüßt Stapp seinen frisch zur Welt gekommenen Sohn und fragt besorgt, „was macht uns überhaupt zu Erwachsenen?“
Tatsächlich überwältigend an dieser Musik sind diese Breitwandgefühle, die aber nahezu allein von der Stimme transportiert werden müssen, weil Gitarrengedonner wie das von Creed mittlerweile völlig austauschbar geworden ist. Dazu muss die arme Stimme phrasieren und knödeln und sich verknoten, dass man sich um die Gesundheit von Herrn Stapp sorgt.
Ähnlich ergeht es Travis Meeks von Days of the New, ebenfalls ein großer Stimmbandmanipulator. Auch ansonsten gibt es einige Parallen: Das aktuelle Album hat zwar keinen Titel, ist aber trotzdem das zweite der Band. Für ihr Debut bekam die Band aus Louisville, Kentucky, ebenfalls Platin. Und wie Creed haben auch Days Of The New einen Song aufgenommen für einen noch in Planung befindlichen Doors-Tribute-Sampler.
Aber im Gegensatz zu Creed und auch dem eigenen Debüt bemüht sich Meeks nun um musikalische Abwechslung. Der gerade mal 20-Jährige hat seine Band kurzerhand gefeuert und sich stattdessen einen ganzen Sack Studiomusiker und Toningenieure engagiert. Auf einer eher folkigen Grundstimmung rotieren jetzt akustische Gitarren, erklingen Bläser, afrikanisch inspirierte Chöre, ein paar mittelalterlich anmutende Instrumente und auch ein kleines Orchester, selbst vor dezentem Sampling schreckt er nicht zurück.
Vor allem aber umgeht Meeks wesentlich souveräner die vielen längst im Genre platzierten Klischees, oder besser gesagt: Er ignoriert und überrollt sie einfach. Wo bei Creed Entäußerung immer etwas flach und klischeeverhangen wirkt, schraubt Meeks in Songs wie „Bring Yourself“ seine Stimme zu einer fast schon religiösen Hingabe, die in ihren besten Momenten an den seligen Jeffrey Lee Pierce erinnert. Wenn er seinem Gegenüber verspricht „I think I'll care“: Wie die Stimme sich langsam aber sicher in die fremde Seele einschleicht, bis man schließlich tatsächlich dieselbe Demut fühlt. Meeks kann einem jederzeit völlig unironisch „pain is my pill“ vorsingen und man sehnt sich nach solchem Schmerz. In Augenblicken wie diesem könnte man fast romantisch werden und sich noch einmal neu in Alternative Rock verlieben.
Zwar stellt Meeks in „Last One“ ausdrücklich fest, dass sich die Welt nicht um ihn dreht, dass es Wichtigeres gibt da draußen, aber so recht ist das nicht zu glauben. Schmockrock, so scheint es, ist zurück, aber noch muss man nicht schwach werden. Bisher fehlt auch wie früher der regelmäßige Hinweis auf jeder Platte: „Play it loud!“
Thomas Winkler
Creed: „Human Clay“ (Epic/Sony) Days of the New: „Days of the New“ (Outpost/Motor)
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