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Zwischen den RillenLange nicht so krank

Konsolidierung der Rap-Heroen: Dr. Dre, Q-Tip und Raekwon in der neuen Zeit

Der HipHopper ist ja eigentlich ein großer Freund von Mystizismus, Zahlenspinnereien und Verschwörungstheorien, aber zum Jahrtausendwechsel hat sich die Branche eher zurückgehalten. Keine Ausnahme bildet „2001“, das erste echte Album von Dr. Dre seit „The Chronic“ vor acht Jahren.

„2001“ ist voller Durchhalteparolen und die Furcht, dass HipHop den Kontakt zur Basis verliert, allgegenwärtig. Weswegen der zentrale Track auch die Single „Still D. R. E.“ ist, in dem der vom Erfolg verwöhnte Rap-Pionier, Produzent und Impresario die guten alten Zeiten beschwört und versichert, dass er zwar ganz schön eingespannt ist mit dem ganzen Business, grundsätzlich aber weiterhin alles beim Alten ist: „Takin' my time to perfect the beat, but I still got love for the street.“

Passend dazu das im HipHop-Sinne erzkonservative Video, in dem Autos und Frauenärsche hüpfen, Goldketten und Kotflügel blitzen, weite Flanellhemden und Arme wedeln, als wären es noch sieben Jahre bis zum Weltuntergang. Reaktiviert hat Dre außerdem seine erste große Entdeckung Snoop Dogg, den er damals zum Superstar mischte. Snoops aalglatter Reimstil sticht – neben dem des aktuellen Dre-Schützlings Eminem – aus der Heerschar von Gastrappern heraus.

Ansonsten ist vieles vorhersehbar: klassische Versatzstücke wie Polizeifunk und Porno-O-Ton, der unverzichtbare Machismo (als einzige Frauen kommen Mary J. Blige und Ms. Roq zu Wort), das Loblied auf Drogen, Knarren und Gangstertum. Gleiches gilt für die Beats und den Gesamtsound: Zwar hat Dre diesmal ausdrücklich kaum Samples verwendet, aber die Atmosphäre ist wie bei den meisten seiner Produktionen auch hier eine grundsätzlich entspannte. Konsolidierung, aber das auf allerhöchstem Niveau: Noch immer findet niemand sonst so souverän den Weg zwischen Eingängigkeit und ein paar unerwarteten Geräuschen, zwischen Hanfhängertum und Partytauglichkeit. Dre hat seinen Sound gefunden, und der hat sich, auch dank vorsichtiger Innovation, überraschenderweise noch immer nicht abgenutzt, auch nun bald ein Jahrzehnt nach der Erfindung des West-Coast-Flirrens: Geigen überall und natürlich der gute alte Moog, Klaviergeklimper und in „Ed-Ucation“ sogar etwas, das eine Mandoline sein könnte.

Dagegen wirkt „Immobilarity“, das zweite Solo-Album von Wu-Tang-Chef Raekwon, trotz gesampelter Geigen fast spartanisch. Lange nicht mehr so krank wie die klassischen Wu-Tang-Produktionen kommt der zwar nicht spektakulärste, aber dafür möglicherweise zuverlässigste Rapper des Clans daher. Kein Wunder, denn der allgegenwärtige RZA hat diesmal nicht produziert. Außerdem ist Raekwons Stimme lange nicht so eigen(tümlich) wie die von Ol' Dirty Bastard oder selbst Method Man. Im Vergleich schweben bei ihm die Silben weich wie Wattebäusche zwischen den für Clan-Maßstäbe ungewohnt polierten Beats.

Raekwon will zu neuen Ufern. Zumindest manchmal: Zwischen all dem realen Scheiß, den bösen Geschichten aus dem Ghetto und dem obligatorischen Bedenkenträgertum findet sich doch tatsächlich etwas wie „All I Got Is You“. Dort wird ganz vorsichtig gerappt, ganz toll geflötet und soulful gejammert vor einem R & B-Schnulzenbackground, bei dem selbst der liebe Gott einen Ständer bekommen würde.

Den Spagat, Erwartungshaltungen von gestern zu bestätigen und gleichzeitig im Heute ankommen, versucht auch Q-Tip. Der Split von A Tribe Called Quest mag die Gemeinde erschüttert haben, ihr Rapper zeigt auf seinem Solo-Debüt „Amplified“, dass man nicht länger trauern muss. Vieles, so die typischen, leicht verzögerten, manchmal etwas platt klingenden Beats, hat überlebt, ebenso wie sein immer etwas hektischer, um den Rhythmus herumtaumelnder Reimstil.

Ansonsten aber wird hier versucht, neue Anknüpfungspunkte zu finden. Zwar taucht mal wieder Busta Rhymes auf, der auch schon über all die Jahre mit dem Tribe zusammen arbeitete, aber eben auch die bei Weißbroten so beliebten Crossover-Metaller Korn. Dass mit den Samples öfters neue Wege gegangen werden, mag daran liegen, dass bei einem Brand vor knapp zwei Jahren Q-Tips Plattensammlung vernichtet wurde. So findet sich in „Do It“ gar eine Latin-Gitarre, doch vorherrschend sind ungewohnt technologische Klänge.

Während De La Soul in der Bedeutungslosigkeit und die Jungle Brothers in den Niederungen der Charts verschwunden sind, merkt man „Amplified“ den Versuch an, die Native-Tongues-Tradition am Leben zu erhalten, ohne gleich in Lagermentalität zu verfallen. Musikalisch ist im HipHop in den letzten Jahren eh weniger passiert als politisch. Alle haben sich lieb inzwischen, und man hört das dieser Platte an – nicht nur, weil die Wut von Q-Tip langsam zu verrauchen scheint. „Amplified“ weist zwar nicht die üblichen Massen an Gaststars auf, aber zumindest im Geiste sind doch alle dabei: Einmal fühlt man sich an den Flow von Jay-Z erinnert, ein anderes Mal an die Beats von Timbaland, und auch die glorreiche Vergangenheit ist als Kool-&-the-Gang-Sample anwesend. So gesehen wird Q-Tips Debüt zu einer aktuell gültigen Zustandsbeschreibung. Auch eine Form von Konsolidierung – aber vielleicht der richtungweisendste Blick in die Zukunft. Thomas Winkler

Dr. Dre: „2001“ (Interscope), Raekwon: „Immobilarity“ (Epic Sony), Q-Tip: „Amplified“ (Arista BMG)

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