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Zwischen den RillenAlt, aber gefährlich

Elf britische Gangster im Ruhestand beichten ihre Sünden zu düsteren Beats

Sie waren Schutzgelderpresser, Safeknacker, Zugräuber oder Geldeintreiber, sie hatten ihre goldene Zeit in den Sechzigerjahren, und sie waren in der Wahl ihrer Methoden nie zimperlich. Ihre Namen: „Dangerous“ Dave Courtney, Freddie Foreman, „Mad“ Frankie Fraser, Jack Adams, Tony Lambrianou oder Bernie Lee.

Das englische Label Durban Poison hat eine CD veröffentlicht, auf der insgesamt elf Londoner Gangster im Ruhestand ihre Sünden beichten. Das Album trägt den programmatischen Titel „Product Of The Environment“, was frei übersetzt „Opfer der Umstände“ bedeutet, das Cover ziert eine Collage aus Springmessern, Schlagringen und einem Revolver sowie einem Gruppenfoto von größtenteils grau melierten Herren in Anzügen. Die Botschaft lautet: Diese Männer sind alt, aber gefährlich.

Tatsächlich handeln die elf Stücke auf „Product Of The Environment“ von echten Raubüberfällen, echten Morden und echten Erpressungen. Jeder Track trägt den Namen des erzählenden Ex-Gangsters, der Bristoler Musiker Tricky und sein Keyboarder Gareth Bowen unterlegten die Geschichten passend mit düsteren Beats. Das streng konzeptuelle Vorgehen des Projekts verherrlicht die in teilweise starkem, für Fremdsprachler schwer zu verstehendem Cockney-Akzent geschilderten Stories keineswegs. Im Gegenteil: Die Geschichten ziehen in den Bann, weil sie ohne Ausnahme den Glamour des Gangsterlebens dessen Schattenseiten gegenüberstellen. Tony Guest etwa erzählt seinen Aufstieg innerhalb der Unterwelt vom Türsteher zum Geldeintreiber. Nach einer Massenschlägerei wird Guest die Hand amputiert. Oder Bernie Lee: erst Waisenhaus, Jugendheim und Jugendgefängnis, dann Autodieb, Safeknacker und wieder Gefängnis.

„Crime doesn’t pay“, sagt Lee. Hätte er die Energie, mit der er Tresore öffnete, in den Aufbau einer bürgerlichen Existenz gesteckt, wäre er Millionär geworden. Oder Freddie Foreman: Mit 16 kam er zum ersten Mal in die Jugendhaftanstalt, sechs weitere Male musste der Mann, den sie den „High Executioneer“ nannten, ins Gefängnis. Auf dem Album erzählt er die Geschichte eines fehlgeschlagenen Überfalls auf einen Geldtransporter, bei dem zwei bewaffnete Wächter starben. „From then on things changed“. Die Rezitationen der einstigen Gangsterbosse und ihrer willigen Helfer sind durchdrungen von ebenso stolzer wie wehmütiger Erinnerung an die alten Zeiten, die angeblich besser waren als unsere heutigen. Begründung: weil damals noch ein Ehrenkodex herrschte, weil damals jeder Gangster noch darauf achtete, gut gekleidet zu sein. Dem Wunsch der Gesetzlosen nach sozialem Aufstieg, schnellen Autos und teuren Anzügen stand entweder der gewaltsame Tod oder aber jahrelanges Weggesperrtsein in Gefängnissen im Wege.

Die Elektronikbeats von Tricky und seinem Kompagnon Bowen sind erstaunlich geradlinig und zurückhaltend, vergleicht man sie mit den teils extrem dichten Soundcollagen, die der Ex-Rapper des Musikerkollektivs Massive Attack sonst so zusammenzurühren pflegt. Selbst einen bösen Scherz konnte sich Tricky nicht verkneifen: Die Geschichte Roy Shaws (die erste des Albums), die abermals von einem Überfall auf einen Geldtransporter handelt, beginnt mit den Worten: „We were beating up some blacks when the van was approaching.“ Tricky selbst ist Sohn jamaikanischer Einwanderer. Maximilian Dax

„Product of the Environment“. Durban Poison/Palm Pictures

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