Zwischen den Rillen: Stille Pracht: Hope Sandoval, Moldy Peaches
Früchtebrot mit Rosinen
Man möchte ihr eine heiße Milch mit Honig kredenzen. Und später eine warme Mahlzeit zubereiten. Damit es ihr gut geht. Heute, morgen, immer.
Schwärmerei? Selbstverständlich. Hope Sandoval hat eine neue Platte aufgenommen, und diese Nachricht allein weckt bei sensibel veranlagten, heterosexuellen Männern automatisch Beschützerinstinkte. Dabei: Hope Sandoval mag zierlich sein – zerbrechlich ist die Frau, die ohne den geringsten Anflug eines Lächelns die postmoderne Mona Lisa gibt, ganz und gar nicht.
In den Neunzigern war die Sängerin zusammen mit David Roback unterwegs. Als Mazzy Star veröffentlichten sie Platten, die konzentriert vertrödelt waren und unter einem warmen Valiummäntelchen Folk und Psychedelia neu verhandelten. Seit 1996 sind Mazzy Star auf Eis gelegt, The Warm Inventions heißt Sandovals neue Begleitband, und deren Debüt trägt den Titel „Bavarian Fruit Bread“. Wie bayerisches Früchtebrot klingt tatsächlich auch die Platte: mildly sweet eben. Hope Sandovals Stimme ist so ätherisch zart und eindringlich monoton wie eh und je, und ihr Gespür dafür, wer um sie herum sachte wehende Melodien arrangieren kann, ist auch nach wie vor präsent.
Wo Hope Sandoval ist, regiert sanfte Ruhe. Daran ändert auch Colm O’Ciosoig, ehedem Drummer bei My Bloody Valentine, nichts. Wenn sich auf „Bavarian Fruit Bread“ Laut- und Leisemalerei treffen, obsiegt stets die Stille. O’Ciosoig lässt durch die skelettierten Songs ein gerüttelt Maß an Mystik flirren, amerikanischer Folk und psychedelische Momente haken sich sanft ein – und über allem schwebt die Stimme Hope Sandovals, die über Variationen der Liebe singt. Über verlorene, gescheiterte Liebe. Über solche, die nie stattgefunden hat, und solche, die hätte passieren können.
Sie singt flüsternd, mal wispernd, und es kommt einem vor, als zitiere sie aus ihrem Tagebuch. Mit unkenntlich gemachten Namen, versteht sich – die Sängerin balanciert gekonnt an der Grenze des Persönlichen, Überschreitungen ausgeschlossen. Die narkotisierende Erotik, die Hope Sandoval dabei versprüht, ist so geraten, dass man vor lauter Schönheit in die Knie gehen möchte: Betörend, schwerelos, sinister.
Lebensmittel kommen auch bei einem Boy-and-girl-Ding aus New York vor. Was Hope Sandoval als Albumtitel dient, steckt bei Adam Green und Kimya Dawson im Bandnamen: Moldy Peaches, verschimmelte Pfirsiche. Und noch eine Gemeinsamkeit: Auch Folk spielt auf dem selbstbetitelten Debüt der Moldy Peaches ein Rolle – aber eine andere als bei Hope Sandoval. Folk ist für die Moldy Peaches die Wurzel, aus der alles wächst, hier: Garagensounds. Reste von Punk. Raue Reminiszenzen an Dead Moon, aber stereo. Gitarren, hin und wieder mit Blockflöte und einem kundig ausgesuchten Billo-Keyboard unterlegt.
All das ist beileibe nicht neu, aber in so karger Schönheit länger nicht mehr da gewesen. Mit einem Keksdosen-Schlagzeug lassen’s die Moldy Peaches in „What Went Wrong“ tüchtig rappeln im Karton, „Jorge Regula“ besticht durch lakonischen Zwiegesang über die Last des Alltags, und „Downloading With Porn With Davo“ ist eine ruppig scheppernde Hymne an Schweinkram im Internet. Und eine abstrus melancholische Überraschung ist „Lucky Charms“: In dem Song borgt Chris Barron, einst gefeierter Zauselbart bei den Spin Doctors, den Moldy Peaches seine Stimme.
Ein Mann, eine Frau, wenig Instrumente – die Moldy Peaches brillieren mit Simplizität. Bei ihren Livegigs beweisen sie übrigens ein Faible für seltsame Kostümierungen: Er im Elfenkostüm aus Filz, sie in einem plüschigen Emsemble, das Katze sein will. MARTIN WEBER
Hope Sandoval & The Warm Inventions: „Bavarian Fruit Bread“ (Zomba); The Moldy Peaches: „The Moldy Peaches“ (Rough Trade)
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