piwik no script img

Zwischen Trieb und Trott

Eine Ausstellung erzählt „Geschichten vom Altern“. Über die Freiheit des Reisens, aber auch über die Falten der Zeit  ■ Von Sandra Wilsdorf

Alter ist ... wenn man immer die Koffer packen und in die Karibik fliegen kann, wenn man dazu Lust hat, ... wenn beim Sex die Angst vorm Kinderkriegen nicht mehr hemmt, ... wenn die Stunden sich nur noch dadurch unterscheiden, dass man zu späterer einen trinken kann, ... wenn jeder Schritt schmerzt. „Späte Freiheit – Geschichten vom Altern“ erzählt eine sehr sehenswerte Ausstellung im Museum der Arbeit in Barmbek.

Auf ganz individuelle Weise nähern sich Künstler und Nicht-Künstler dem Thema mit unterschiedlichen Medien und Perspektiven. Da lässt eine alte Frau sich nackt filmen und erzählt über ihre Sexualität. Darüber, dass sie manchmal, „wenn es zu schlimm wurde mit der Sehnsucht nach dem anderen Geschlecht“, einfach 50 Kilometer mit dem Fahrrad gefahren ist. Erst als Schluss war mit der Periode, da hat sie gedacht „na ja, du hast ja noch den Trieb, jetzt kannst du ja mal dein Sexualleben ausleben. Na, und das habe ich dann gemacht.“

Der 83-jährige Jack Lalanne, „Erfinder des Bodybuilding“, spannt seine Muskelberge für die Kamera an und lässt sich mit den Worten zitieren: „Das Leben ist doch ganz einfach: Alte Leute fühlen sich alt, sobald man ihnen sagt, dass sie es sind. Die Menschen sterben nicht wegen ihres hohen Alters, sie sterben aufgrund von Disziplinlosigkeit.“

Ein Skelett entschärft die Provokation: Man kann die abgenutzten Gelenke sehen, fehlende Zähne und Wirbelsäulenschäden. Eine andere Figur zeigt, welche Teile des menschlichen Körpers erneuert werden können: Künstliches Knie- und Hüftgelenk, künstliche Harnblase, Nase, Penisstütze. An der Decke kreisen knallrote Kleider, denn wer sagt, dass Alter graubraun sein muss? Fotos, Alltagsgegenstände, Bilder, Filme, Dias zeigen die neuen Alten: Vier Frauen erzählen von ihren Erfahrungen als WG, eine knallrot Geschminkte erklärt das Internet, und dass es für sie keinen Tag ohne e-mails gibt. Ein Ehepaar sitzt auf dem Sofa und de-monstriert Bridge, sie schweift allerdings immer weiter vom Thema ab, zum Tierpark und der Elchkuh und ihren Kindern. Er kommt ab und an auch mal zu Wort.

Altemheime sind keine Armenhäuser mehr, die Alten sind versichert gegen jede Eventualität, lassen sich in Designerklamotten fotografieren, die Oma telefoniert mit der Enkelin, die Gymnastikgruppe fasst sich an den Händen. Und „wer sich nach südlicher Sonne sehnt, packt die Koffer und setzt sich ins Flugzeug“, steht auf einem Ausstellungsplakat. Altwerden muss schön sein.

Gerade will man sich ein bisschen ärgern über die Verklärung des Alters. Ist das jetzt Alters- statt Jugendkult? Fragt sich, warum Einsamkeit, Krankheit und Armut keinen Platz in dieser Ausstellung haben. Aber es gibt auch Kontrapunkte. Da sind die Fotos von Herlinde Koelbl aus ihrer Serie „Das deutsche Wohnzimmer“: Der 78-jährige Bauer, der sechs Kinder hat und doch allein ist, aber auch die 75-jährige Rosa, die vor der Schrankwand steht und sagt: „So schön hatte ich es noch nie in meinem Leben.“

Und da wird Luis Buñuel zitiert: „Ich kann meine Diagnose mühelos selbst stellen: Ich bin alt. Das ist meine Hauptkrankheit.“ Seine Stunden teilt er in die vor und die nach dem ersten Apéritif ein. Nur der unterbricht die Langeweile. Deshalb gibt es später noch einen zweiten.

Die Ausstellung ist noch bis zum 4. Februar 2001 zu sehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen