Zweifelhafte Kündigung: Fairer Handel vor Gericht
Bei einer Fair-Trade-Kette gab es Streit um die Arbeitsbedingungen. Ein Gerichtstermin blieb ohne Ergebnis.
Nach weniger als zwanzig Minuten war der Gütetermin am Bremer Arbeitsgericht schon wieder zu Ende - ohne Einigung. Drei einstige Verkäuferinnen der Contigo GmbH aus Göttingen, einer der größten Fair-Trade-Ketten Deutschlands, mochten sich nicht mit einer Abfindung zufrieden geben. Sie hielten an ihrer Klage fest. Nun wird das Gericht in einer Hauptverhandlung klären müssen, ob die Contigo GmbH das Recht hatte, die drei im Sommer dieses Jahres nach schweren betrieblichen Unstimmigkeiten vor die Tür zu setzen.
Juristisch ging es um eine einfache Frage: Das Unternehmen beliefert bundesweit hunderte Weltläden mit selbst importierten Fair-Trade-Produkten und unterhält auch selbst Einzelhandelsgeschäfte, meist mit externen Franchisenehmern. Die Entlassenen arbeiteten in den zwei Bremer Contigo-Niederlassungen, die direkt von der Göttinger Zentrale betrieben werden. Strittig ist, ob es sich dabei - wie Contigo behauptet - dennoch um eigenständige Unternehmen handelt. Für den Prozess ist diese Frage entscheidend: Firmen mit weniger als zehn Beschäftigten können Mitarbeiter wesentlich leichter entlassen als größere.
Verhandelt wurde am Freitag aber mitnichten nur eine unternehmensrechtliche Spitzfindigkeit: Contigo hat seit den Neunzigerjahren unter dem Motto "Raus aus der Nische, rein in den Markt" bundesweit eine neue, professionelle Art von Dritte-Welt-Läden aufgebaut und macht mittlerweile Millionenumsätze in der ethischen Marktnische. Bei dem Kündigungsschutzverfahren der drei Verkäuferinnen ging es deshalb letztlich um die Frage, ob sich eine solch offensive Kommerzialisierung auf die Dauer mit dem Gedanken des Fairen Handels verträgt.
In Deutschland prüft der so genante ATO-TÜV (für "Alternative Trade Organizations") des Verbands der Weltläden den Fairen Handel.
Laut Verband handelt es sich dabei um eine "nach innen in die Bewegung gerichtete Überprüfung auf der Basis von Selbstauskunft, verbunden mit Plausibilitätskontrollen".
Contigo wird von dieser Instanz als Lieferant empfohlen, da es "in allen Kriterien der ,Konvention der Weltläden' entspricht.
Diese verlangt Sozial- und Umweltverträglichkeit, Transparenz, demokratische Organisationsform, Informations- und Bildungsarbeit sowie Kontinuität in den Handelsbeziehungen.
Im August hatte Contigo den drei Verkäuferinnen gekündigt, doch schon länger hatte es in den Bremer Filialen rumort. Ein neues Tarifmodell sorgte für Protest, Filialleiterinnen gingen, ebenso wie nach und nach fast die gesamte übrige Belegschaft. Am Ende standen die Kündigungen für die drei Klägerinnen.
"Den dreien fehlte der Contigo-Spirit", sagt Geschäftsführer Ingo Herbst und verweist darauf, dass in allen übrigen Filialen mit gutem Erfolg eine Art innerbetriebliche Partnerschaft mit den Ladenteams praktiziert werde.
Doch eine Reihe von Herbsts Ex-Angestellten wandten sich an die Gewerkschaft Ver.di und die taz und zeichnete ein anderes Bild. Sie werfen Contigo vor allem vor, das Verkaufspersonal durch eine informelle Ausgleichsregelung zum Verzicht auf Urlaubs- und Lohnfortzahlungsansprüche zu drängen. Herbst wies dies zurück. Er spricht von einer Option, für die sich die Teams im Konsens entscheiden könnten. Schreiben des Contigo-Managements, in denen ein Widerspruch gegen das Modell als "Fall für die gelb-rote Karte" bezeichnet wurde, erhärteten die Vorwürfe jedoch. Mitarbeiter mit einer solch "selbstbezogenen Arbeitnehmerhaltung" würden einen "15-jährigen Konsens verlassen" und hätten "bei Contigo keinen Platz", so das Schreiben, über das die taz berichtete.
Am Freitag griff Herbsts Rechtsanwalt Sebastian Melz deshalb die Beschäftigten vor Gericht an. "Hier wird mit der Klage Politik gemacht," sagte er. Ihm erschließe sich nicht, warum die Vorwürfe in die Öffentlichkeit getragen worden seien. "Das hat dem Unternehmen massiv wehgetan und es ist völlig an der Sache vorbei gegangen." Das Unternehmen sei dennoch zu einer gütlichen Einigung bereit, so Melz.
Der Ver.di-Anwalt, der die drei Verkäuferinnen vertritt, wies Melz Kritik ebenso zurück wie sein Angebot: "Die Kündigungen haben schließlich auch weh getan."
Die Hauptverhandlung ist nun für Anfang 2010 angesetzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund