: Zweifel sind keine Feinde
Von unserer Kontext-Redaktion↓
In der Villa Reitzenstein geht die Kunde, Winfried Kretschmann, der Herr des Hauses, sage frei heraus, was ihm gerade so in den Sinn komme. Und das hänge damit zusammen, dass ihn sein Sprecher Rudolf Hoogvliet einmal genau davor bewahrt habe. Nun aber ist der smarte Rudi seit Mai letzten Jahres weg, und mit ihm die hohe Kunst, möglichst wolkig zu reden, um der Journaille keine (unerwünschte) Schlagzeile zu liefern.
Im Falle des Thomas Strobl geht das noch, weil der Betroffene die Headlines selbst erledigt. Diesmal mit seiner „maximalen Transparenz“ um den obersten Inspekteur der Polizei, den eine Hauptkommissarin der sexuellen Übergriffigkeit zeiht. Genaueres ist bei Kontext-Autorin Johanna Henkel-Waidhofer nachzulesen (nur online). In dieser Angelegenheit sagt Kretschmann einfach, der Innenminister genieße weiterhin sein „volles Vertrauen“, wenn es sprachlich korrekt wäre, sogar sein „vollstes“, und schwupps, hat der Grüne den Schwarzen noch tiefer im Sack.
Schwieriger gestaltet sich die Sache mit dem Frieden. Da ist der 73-Jährige ganz bei sich. Kein Kriegsdienst verweigert, keine Backe hingehalten, keine Wurzeln in der Friedensbewegung, nur a bissle und früher Maoist beim KBW. Aber Verehrer von Hannah Arendt, die gesagt haben soll: Gewalt beginnt, wo das Reden aufhört. Also mal wieder reinschauen bei Hannah, ehe man in der FAZ über die „verlogene Seite des Pazifismus“ her-, oder zur Albkaserne in Stetten am kalten Markt hoch zieht, um die Panzerhaubitze 2000 zu würdigen. Oder voller Pathos sagt, er könne es sich „nicht verzeihen“, im Sommer 2021 geschwiegen zu haben – als sein Parteifreund Robert Habeck bereits Waffen für die Ukraine gefordert hat. Was ist nur aus diesen Grünen geworden? Selbst die FAZ wundert sich über einen radikalen Kurswechsel, bei dem „manche nicht mehr mitkommen“.
Zu ihnen zählt Winfried Hermann, der einzige Pazifist in Kretschmanns Kabinett. Beim Fernsehen kommt der Verkehrsminister aus dem Staunen nicht heraus, wenn er Ralf Fücks imaginiert, mit hervorstechenden Augen und, wenn er sie parat hätte, einer Knarre im Anschlag. Bummbumm. Fücks war einmal Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Der berühmte Schriftsteller saß einst vor dem Haupttor des US-Militärgeländes in Mutlangen. Aber okay, es war ja im Kern schon 1999 klar, als Joschka Fischer zum Kosovo-Einsatz rief. Jetzt sei die „Klärung endgültig“, dekretiert Kretschmann.
Wohl auch ermuntert durch den Zuspruch nach der Kontext-Veröffentlichung („Ich gehe als Pazifist ins Grab“) hat Hermann wieder dagegen gehalten. Es gebe bei den Grünen immer noch Menschen, die eine andere Haltung hätten und militärkritischer seien, betonte der 69-Jährige und erinnerte daran, dass mit mehr Waffen „mehr Gewalt und Gegengewalt“ entstehen können. Nach wie vor sieht er sich an der Seite jener Promis, die keine Waffen an die Ukraine liefern wollen, stante pede abgebürstet von Kretschmann, der ihnen eine „arg platte Argumentation“ bescheinigt. Sie hätten sich „ein bisschen mehr anstrengen können“, belehrt der Volkspädagoge.
Zumindest in der Kommentarspalte bei Kontext dürfte sich die Waagschale eher in Richtung Hermann neigen. Grautöne und Zweifel dürften keine Feinde sein, haben wir gelesen und gedacht, dass das gerade in diesen Zeiten eine gute Blattlinie wäre.
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