Zwei Wochen vor der Abgeordnetenhauswahl: Das Spitzenhindernis der Grünen
Klaus Wowereit und Renate Künast sind das Wahlprogamm von SPD und Grünen. Für eine Programmpartei wie die Grünen ist es fatal.
Nach der Wahl ist vor der Wahl, also schaltet Renate Künast nach Mecklenburg-Vorpommern in den Vorwärtsgang. "Für mich ist es schlicht und einfach Rückenwind, Rückenwind, Rückenwind", sagte die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen der Leipziger Volkszeitung. Dabei bekräftigte Künast erneut ihren Anspruch, als Regierende Bürgermeisterin ins Rote Rathaus einzuziehen. "Wahlen sind immer dann entschieden, wenn die Wahllokale geschlossen sind."
Nun stellt sich schon die Frage, welchen Rückenwind Renate Künast meint? Ist es der, der ihren freien Fall noch weiter beschleunigt? Bei nur noch 19 Prozent liegen die Grünen in der jüngsten Forsa-Umfrage - das schlechteste Ergebnis seit zwei Jahren. Schlimmer noch ist für Künast Platz drei hinter der CDU (21 Prozent). Bleibt es dabei, ist die Tür zum Roten Rathaus genauso leicht zu knacken wie der Tresor der New Yorker Fed-Bank.
Oder meint Künast den grünen Zuwachs in Meck-Pomm? Fünf Prozentpunkte haben die Ökos in Schwerin zugelegt - und sind erstmals im Landtag vertreten. Im Vergleich zum Wahlergebnis von 2006 würden die Berliner Grünen mit 19 Prozent immerhin einen Zuwachs von sechs Punkten verzeichnen können.
So könnte man das nach dem 18. September verkaufen, gäbe es nicht Künast und ihren Anspruch aufs Rote Rathaus. Inzwischen ist die Spitzenkandidatin zum Spitzenhindernis für einen grünen Wahlerfolg geworden.
Mal angenommen, auf den Plakaten der Grünen würde "Renate" nicht "sorgen" und "kämpfen", sondern der Inhalt im Vordergrund stehen: Gerade erst hat der baupolitische Sprecher der Grünen ein Acht-Punkte-Programm zur Mietenpolitik vorgelegt, das zu diskutieren durchaus lohnte. Gleiches gilt für die Vorstellungen der Grünen zum Thema Verwaltungsumbau und erst recht - A100! - zur Verkehrspolitik. Grüne Inhalte sind wählbar, lautet die Botschaft des Gedankenspiels - aber Renate Künast?
Mit ihrer frühen Festlegung auf das alleinige Wahlziel Rotes Rathaus hat sich die Spitzenkandidatin über die inhaltliche Programmatik ihrer Partei gestellt. Ja, sie hat sich die grüne Expertise im Abgeordnetenhaus nicht einmal zunutze gemacht. Warum gab es - auf Augenhöhe mit der Spitzenkandidatin - kein grünes Kompetenzteam? Warum gab und gibt es vor Fernsehauftritten kein Briefing? Warum keine regelmäßigen Runden mit den Fachpolitikern? Und, auch das gehört in der Mediendemokratie dazu, warum keine Imageberatung? Die Antwort: Weil sich Renate Künast, Ex-Verbraucherschutzministerin und Co-Vorsitzende der Grünen im Bundestag, selbst Programm genug ist. "Eine für alle." Sonst noch Fragen?
Natürlich, bei Klaus Wowereit ist es nicht anders. Schlimmer noch: Bei der SPD wird nicht mehr gekämpft und gesorgt, sondern nur noch gedaddelt. Was sonst ist der Schnappi-Wahlkampf, in dem eine Stoffpuppe die politische Aussage ersetzt? Die Politik ein Spiel, mit Klaus Wowereit als dem besten Spieler.
Doch anders als die Grünen war und ist die SPD ein Wowi-Wahlverein. Bei den Grünen hingegen führte die Fixierung auf Künast und das Rote Rathaus geradewegs in die fatale Debatte um Grün-Schwarz. Wäre es um Inhalte gegangen, hätte das nicht zur Falle werden müssen. Grün kämpft für Grün, alles andere bitte nach dem 18. September. Doch Künasts Alleinanspruch ließ die Inhalte zweitrangig werden. Im Fokus stand allein die rechnerische Möglichkeit, mit der CDU regieren zu können. Für die FDP ist das die Regel, für eine Programmpartei der Todesstoß.
Nun reicht es wohl nicht einmal mehr für Grün-Schwarz. Eigentlich wäre damit der Zeitpunkt gekommen, die Wahlkämpferin Künast vom Bildschirm zu nehmen - und sich mit einer inhaltlichen Offensive noch einmal aufzubäumen.
So aber kommt, was kommen muss: Renate Künast wird noch fahriger werden, ihre Aussagen werden noch unbestimmter, ihre Mundwinkel werden fallen wie ihre Umfragewerte. Schon jetzt, auch das gehört zur Künast-Show 2011, hat sie das innerparteiliche Duell gegen Jürgen Trittin verloren. Auf Bundesebene wird sie künftig eine ähnlich große Rolle spielen wie Klaus Wowereit - nämlich keine. "Renate verdient … Mitleid", müsste inzwischen auf den Plakaten stehen.
Sind die Scherben nach dem 18. September dann beiseite geräumt, werden sich auch diejenigen zu Wort melden, die den Wahlkampf von "Renate" schon immer für die typisch berlinische Großmäuligkeit gehalten haben. Und fragen, ob die Kommunalpolitik für die Bundespolitikerin nicht eine Nummer zu groß gewesen ist. Bis dahin aber gibt es "Rückenwind, Rückenwind, Rückenwind".
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern