Zwei Jahre Krieg gegen die Ukraine: Sie halten durch
Nach dem russischen Großangriff am 24. Februar 2022 gaben manche den Ukrainer:innen nur Stunden oder Tage. Doch sie behaupten sich noch immer – und kämpfen.
Die Ukrainerinnen und Ukrainer mögen das Ende des Februars nicht besonders. Vor allem wegen der tragischen Daten in ihrer Geschichte: erst die Erschießung von Demonstranten auf dem Maidan während der Revolution der Würde 2014, dann die Annexion der Krim und acht Jahre später der Beginn eines Krieges in vollem Umfang.
Manche in der Ukraine sagen bereits ironisch, dass der Februar in diesem Land noch nicht vorbei ist. Februar heißt auf Ukrainisch lutyi, was streng bedeutet wie in ‚strenger Frost‘, aber die Etymologie des Wortes basiert auch auf dem Wort lut', was Wut bedeutet. Wut ist das Gefühl, das bei den Ukrainer*innen Ende Februar 2022 sehr schnell an die Stelle von Schock und Angst getreten ist.
Vor zwei Jahren gaben westliche Politiker*innen der Ukraine ein paar Stunden, dann Tage, dann Wochen, dann höchstens einen Monat. Aber heute ist der zweite Jahrestag der russischen Invasion und die Ukraine kämpft noch immer.
Tatsächlich ist Russland schon vor zehn Jahren in die Ukraine einmarschiert, als die ersten „grünen Männchen“ auf der Krim auftauchten, die die Welt damals aus irgendeinem Grund fürchtete, offen russische Truppen zu nennen. Einerseits ist es erstaunlich, dass diese Tatsache immer wieder in Erinnerung gerufen werden muss. Andererseits war die Großinvasion möglich, weil die Weltgemeinschaft damals tatsächlich ein Auge zudrückte, als Russland die ukrainische Halbinsel annektierte.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Putin fürchtet keine Strafen
Die schwache Reaktion der Welt auf einen seit dem Zweiten Weltkrieg beispiellosen Akt der Aggression und Besetzung des Territoriums eines Nachbarlandes spielte dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände. Im Gefühl absoluter Straflosigkeit begeht sein Regime nicht nur weiterhin blutige Verbrechen, sondern steigert deren Ausmaß von Mal zu Mal – von der Ermordung seiner Gegner*innen bis zu den Flächenbombardements in der Ukraine.
Marinka, Wolnowacha, Mariupol, Wuhledar, Lyssytschansk, Sewerodonezk, Soledar, Bachmut, Awdijiwka – das sind ukrainische Städte, die nur noch auf der Landkarte existieren. Geblieben ist eine Wüste aus Stein- und Betonruinen und die Erinnerung der Menschen, die hier einst lebten. Bevor die russische Armee kam. Die ukrainischen Städte Butscha, Irpin und Isjum werden für immer als Symbole russischer Kriegsverbrechen in die Geschichte eingehen. Charkiw und Odessa galten einst als die russophilsten Städte der Ukraine, aber mit jedem neuen Angriff verflüchtigt sich die Liebe zur russischen Kultur mehr. Wie die Staubwolke eines eingestürzten Wohnhauses, das von einer Rakete getroffen wurde.
Trotz des andauernden Krieges versucht die Ukraine mit Hilfe ihrer Partner, einen Teil der zerstörten Infrastruktur wieder aufzubauen. So stehen heute in einer Straße in Butscha, in der eine Kolonne russischer Militärtechnik und mit ihr alle Häuser zerstört wurden, bereits wieder neue, moderne Wohnhäuser. An den Straßenrändern, wo noch kürzlich Munitions-Blindgänger zu sehen waren, wurden kleine Bäume gepflanzt.
In den Parks, in denen die Menschen vor nicht allzu langer Zeit ihre ermordeten Nachbar*innen begraben haben, gehen Mütter mit Kinderwagen spazieren, und das Lachen der Kinder ist wieder zu hören. Trotzdem fällt es mir persönlich immer noch schwer, Butscha zu besuchen, denn neben all dem sehe ich immer noch die Leichen der Bewohner mit auf dem Rücken gefesselten Händen und die mit Sprühfarbe auf jeden Zaun gemalten russischen Kriegssymbole Z und V.
Ukrainische Kinder sollen zu Russen umerzogen werden
Heute stehen 20 Prozent des ukrainischen Territoriums unter russischer Besatzung – manche seit zehn Jahren, manche seit zwei Jahren. Fast jede*r Ukrainer*innen hat noch Freunde oder Verwandte in diesen Gebieten. Russland tut alles, um diese beiden Teile der Ukraine dauerhaft zu trennen – sowohl physisch als auch mental. In einigen dieser Siedlungen gibt es noch immer keine Handy- oder Internetverbindungen, da sie von den Besatzern absichtlich blockiert werden.
Seit Jahren können Kinder ihre alten Eltern nicht kontaktieren und umgekehrt. Wenn eine Familie unter der Besatzung Glück hatte, wurden ihre Kinder nicht unter dem Deckmantel der Evakuierung dauerhaft auf russisches Gebiet gebracht, also verschleppt. Diejenigen, die es geschafft haben, zu Hause zu bleiben, werden in den örtlichen Schulen dazu erzogen, zu vergessen, dass sie Ukrainer sind. Sie sollen zu neuen Russen werden.
In Momenten der Verzweiflung scheint es fast unmöglich, mental wieder mit den Menschen zusammenzukommen, die unter der Besatzung gelebt haben. Doch dann gelingt es jemandem, diese Gebiete zu verlassen, und er erzählt, wie die Menschen dort darauf warten, dass die ukrainische Armee die gelb-blaue Fahne an ihren rechtmäßigen Platz zurückbringt.
Aber die Ukraine braucht Kräfte und Mittel, um das zu erreichen. Selbst wenn es keine massiven Angriffe gibt, wird überall über den Krieg gesprochen. In der Philharmonie und in der Hipster-Bar. Viele der Männer, die noch nicht in der Armee sind, haben sich bereits mit dem Gedanken abgefunden, dass früher oder später jeder von ihnen an der Front landen wird. In der Ukraine herrscht derzeit ein akuter Mangel an Militärpersonal, eine ungerechte Mobilisierung und ein unverständliches Demobilisierungssystem machen den Wehrdienst nicht gerade attraktiv.
An die Toten kann man sich nicht gewöhnen
Tatsache ist, dass in den ersten Tagen der großangelegten Invasion idealistische und mutige Männer in den Kampf gezogen sind, aber sie sind entweder außer Gefecht oder so erschöpft, dass sie dringend ersetzt werden müssen. Kaum jemand will an der Front sterben, aber noch weniger wollen unter russischer Besatzung leben.
Die Ergebnisse einer neuen Umfrage des Internationalen Instituts für Soziologie in Kyjiw zeigen, wie sich die Stimmung der Ukrainer*innen in den letzten 731 Tagen verändert hat. Die vollständige Rückgabe der Gebiete, einschließlich der Krim und des Donbas, wird heute von 52 Prozent der Ukrainer*innen als das realistischste Ergebnis des Krieges angesehen. Im Mai 2022 waren es noch 61 Prozent. Heute glauben 60 Prozent der Bevölkerung an einen Sieg der Ukraine im Krieg, im Mai 2022 glaubten 80 Prozent der Ukrainer*innen daran. Auf die Frage, wie lange sie bereit seien, den Krieg zu ertragen, antworteten heute 73 Prozent der Ukrainer*innen „so lange wie nötig“, das sind sogar 2 Prozent mehr als im Mai 2022.
Man kann nicht sagen, dass die Ukrainer*innen vom Optimismus zur Demut übergegangen sind. Man kann auch nicht sagen, dass sich die Ukrainer*innen an den Krieg gewöhnt hätten. Es ist unmöglich, sich an die täglichen Toten und Tragödien zu gewöhnen. Vielmehr sollte die heutige Situation vor dem Hintergrund der allgemeinen Kriegsmüdigkeit betrachtet werden.
Dies ist eine sehr schwierige Phase des Krieges: Zwei Jahre, zehn Jahre, der Verlust von Awdijiwka, Verluste an der Front. Dazu Munitionsmangel und das Scheitern der Gegenoffensive im Sommer. Dann haben die USA aus innenpolitischen Gründen auch noch die Hilfe für die Ukraine eingefroren, Deutschland hat es nicht eilig, die ersehnten Taurus-Marschflugkörper zu liefern und die Nato sendet unklare Signale bezüglich einer Mitgliedschaft. Die Luftabwehrsysteme sind knapp, polnische Bauern verstreuen ukrainisches Getreide, die Wirtschaft Russlands ist immer noch stark und seine Armee verfügt über schier unendliche Menschenressourcen. Iran und Nordkorea liefern Russland Raketen.
Gegen die Allianz der Autokraten
Die Umstände sind frustrierend, geben keine Kraft, können einen sogar brechen. Aber auch nach zwei Jahren eines so zermürbenden Krieges wollen die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht aufgeben. Sie sind müde, aber sie haben noch Energie, sie haben noch den Willen, zu siegen. Die Ukraine hat sich diesen Krieg nicht ausgesucht, aber sie muss ihn führen. Weil sie keine andere Wahl hat. Natürlich wird 2024 kein Jahr des Sieges. Aber es ist auch unwahrscheinlich, dass es ein Jahr der Niederlage wird.
Es ist allen in der Ukraine klar, dass sie diesen Krieg ohne Hilfe und Unterstützung nicht gewinnen können. Ein Übel wie das Regime Wladimir Putins kann nur durch gemeinsame Anstrengungen besiegt werden. Wenn die Ukraine geopfert wird, ist der Tyrann, der die Welt beherrschen will, nicht mehr zu stoppen. Die Allianz der Autokraten will eine neue Weltordnung entwerfen, in der die Werte der liberalen Demokratie keinen Platz mehr haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich