piwik no script img

Zwei Bücher über den TodDer geteilte Raum des Erzählten

Autorin Eva Schörkhuber und Journalistin Birgit Fuß denken in Büchern über Trauer nach. Sie beschäftigt, wie man dafür eine Sprache finden kann.

Trauernde nehmen Abschied auf einem Rasenfriedhof Foto: Selina Pfrüner/laif

Aktuell sind gleich eine ganze Reihe von Büchern erschienen, die einen Blick auf Trauer und Tod werfen: Jo Franks „Trauer“, Olga Martynovas „Gespräch über die Trauer“, „Die Zeit der Verluste“ von Daniel Schreiber oder „Schwebende Brücken“ von Maike Wetzel. Manche von ihnen sind keinem Genre zuzuordnen, aber vielleicht haben die Bücher gemeinsam, dass Schreibende und Lesende sich zeitversetzt einer Trauerbewältigung stellen.

Und oft zeigt sich dabei besonders das Leben in einem neuen Licht, so wie das bei Eva Schörkhubers Essay „Die wunderbare Insel“ und Birgit Fuß’ Bericht „Sterben darfst du aber nicht“ der Fall ist.

Den Tod des Vaters und den Freitod eines nahen Freundes nimmt die österreichische Schriftstellerin Eva Schörkhuber als Anlass, den Tod in den Blick zu nehmen. Sie wurde 1982 in St. Pölten geboren, studierte Germanistik und Komparatistik in Marseille und Wien und ist Redaktionsmitglied der Literaturzeitschrift PS. Politisch Schreiben. Bisher hat sie drei Romane veröffentlicht, zuletzt „Die Gerissene“, eine Geschichte über eine junge Frau, die sich mit Witz durch die Welt schlägt, in der sie Dinge in Bewegung setzen will.

In dem Essay „Die wunderbare Insel“ möchte sie am Küchentisch mit dem Tod auf Du und Du gehen. Das klingt gewagt. Erst rekapituliert sie die Urszene ihrer großen Angst vor ihm: Es beginnt während der Kindermette am Osterfest.

Die Bücher

Eva Schörkhuber: „Die wunderbare Insel. Nachdenken über den Tod“. edition atelier, Wien 2023, 184 Seiten, 20 Euro

Birgit Fuß: „Sterben darfst du aber nicht“. mikrotext, Berlin 2023, 224 Seiten, 25 Euro

„Zwischen den Zeilen eines Liedes“ ergreift die Achtjährige eine unerklärliche Angst vor dem Tod, die sie fortan durch die Kindheit begleiten wird. Besonders groß ist sie beim Einschlafen, bis der kleine Bruder beginnt, in der unteren Etage des Stockbetts Geschichten von einer wunderbaren Insel zu erzählen, auf der alles möglich ist.

Unterschlupf für die Trauer

2021 stirbt ihr Vater. Das Pflege­personal im Krankenhaus entscheidet, dass sie seine letzten Stunden im großen Kreis verbringen können: seine Frau und die Kinder, ihre Lebens­partner und Freund:innen. Zwölf Personen sind es, die ihn begleiten. Schörkhuber beschreibt, wie wichtig es gewesen sei, dass das Pflegepersonal – das Risiko des Entstehens eines Coronaclusters auf sich nehmend – ­diesen Abschied möglich gemacht hat. Denn sie alle wachsen zu einer Trauergemeinschaft zusammen. Sie bauen sich einen „Unterschlupf für ihre Trauer“, so nennt sie es.

Das Wort „Angehörige“ tauscht sie daher auch gegen „Zugehörige“ aus und meint damit einfach Menschen, die dem Verstorbenen nahe waren. Ihr Essay ist eine intime Innensicht, schaut aber zugleich immer auch auf die Gesellschaft.

„Über den Tod nachzudenken heißt, über alle nachzudenken“, dieses Zitat der amerikanischen Autorin Anne Boyer stellt sie ihrem Text voran, und auch Stimmen wie die von Joan Didion, Péter Nadás oder Maria Stepanova führen sie weiter in ihren Gedanken. Wieder und wieder weitet sie so den Blick, ehe sie zu ihrer Erfahrung zurückkehrt. Auf diese Weise wird der Essay vielleicht auch zu einer Ermächtigung und einer Emanzipation von ihrer Angst.

Sie denkt über Schuld nach: Warum hat sie den Anruf ein paar Tage vor dem Freitod des Freundes nicht angenommen? Hätte sie etwas ändern können? Fragen, die sich Hinterbliebene nicht selten stellen.

Der Tod ist nicht das Ende

Schörkhubers Nachdenken über Krankheit und Sterben ist auch eines über die ungleichen Bedingungen unseres Zusammenlebens. Sie erinnert sich an die Vorbesprechung mit dem Vater, dessen Lungenerkrankung eine Transplantation notwendig macht. Das Gespräch, um auf die Warteliste für ein Organ zu kommen, gerät unerwartet zu einer Art Bewerbungsgespräch: Ob er und die Familie in der Lage seien, die Medikamente zu managen? Ob er bereit sei, in kurzer Zeit Gewicht abzunehmen?

„Zeit ist ebenso wenig gleich wie der Tod“, schreibt sie. Und: „Das neoliberale Phantom eines selbstbestimmten, über seine körperlichen, seelischen und geistigen Anlagen vollkommen frei verfügenden Individuums ist längst entzaubert.“

Ein Song ist es vielleicht auch, der die beiden Bücher von Schörkhuber und Fuß verbindet: „Death is not the end“ von Bob Dylan. Beide Autorinnen haben mit ihm ein Kapitel überschrieben, wenngleich sie ihm unterschiedlich begegnen. Für Fuß ist er ein Trost im Wortsinn, während Schörkhuber sich ihm mit Unbehagen nähert, weniger wegen des religiösen Subtexts des Songs, sondern weil der Tod eben nicht das Ende von Krieg, Leid und Elend ist – „da können wir glauben und singen, was wir wollen“.

„Sterben darfst du aber nicht“ von Birgit Fuß ist ein Bericht von einem Abschied und einem Anfang. Fuß wurde 1972 in Fürstenfeldbruck geboren und studierte Germanistik, Amerikanistik und Journalismus in Hamburg. Seit 1998 arbeitet sie als Autorin und Redakteurin bei dem Musikmagazin Rolling Stone.

Eine Liebe wächst zwischen den E-Mails

Es ist eine berührende Lebens- und Liebesgeschichte, verrückt, voller Hoffnung, romantisch, traurig, wild und beginnt so: Die Erzählerin ist Musikjournalistin und betreut die Texte eines Autors, Philip. Sie ist damals 43 Jahre alt, verheiratet und seit 16 Jahren in einer Partnerschaft, aber längst nicht mehr glücklich. Die Mails zwischen ihr und Philip werden länger, der Kontakt wird immer intensiver. Ihren Austausch nennen sie irgendwann „reden“, 30.000 Nachrichten werden es am Ende sein.

„Noch halte ich durch“, antwortet sie ihm eines Tages auf die Frage, ob sie denn noch verheiratet sei. Und ist erschrocken über das Geständnis, das ihr ein Gegenüber entlockt hat, den sie noch nie getroffen hat. „Er konnte Menschen auf der Basslinie berühren“, schreibt sie, und ihre Verbindung und Geschichte wird eine ganz Besondere werden. Er nennt sie Füchsin, sie ihn Bono.

Sie wagt den Schritt der Trennung von ihrem Mann und sucht sich eine neue Wohnung. Gesehen hat sie Philip aber immer noch nicht. Dann fragt er sie eines Abends per SMS, um 23.14 Uhr, ob sie ihn liebe. Sie antwortet, ohne zu zögern, mit ja.

Doch ihnen bleibt nur ein Jahr. Am ersten Weihnachtsfeiertag, dem ersten Jahr ihrer Begegnung, bekommt sie die Nachricht, dass er ins Krankenhaus muss. Wenige Tage später stirbt er.

Ratschläge von Bono

Fuß nimmt die Lesenden auf den Weg ihrer Trauer mit, macht die Türen auf, zeigt ihre Trauer, statt sie zu verstecken. Sogar Bono von der Band U2, den sie für ein Interview in São Paulo treffen soll, teilt in einem Telefon­interview, das zwischen ihnen stattfindet, weil sie nicht reisen kann, mit ihr eigene Erfahrungen über Trauer und Abschied.

„Wir Trauernden helfen uns gegenseitig und erzählen uns gern immer wieder dieselben Geschichten, weil wir wissen, dass das hilft“, schreibt sie.

Womöglich ist es auch das, was Texte über Tod und Trauer so wichtig macht: Der geteilte Raum des Erzählten und des Nachvollziehens geben Trost.

Ihr Bericht fordert. Er ist ehrlich, kompromisslos und zugleich weich und empathisch, ein Hinsehen und Bei-sich-Bleiben, Aushalten und Weitermachen. Fuß entscheidet sich, eine Ausbildung als Sterbe- und Trauerbegleiterin zu machen, und so hat diese Liebe ihr auch einen neuen Weg im Leben gezeigt.

Schmerzgedächtnis der Psyche

Als sie den Bericht zu Ende schreibt, sind sechs Jahre seit seinem Tod vergangen. Zum ersten Mal verbringt sie den Jahrestag nicht am Grab, sondern verreist. Trotzdem, stellt sie fest, hat der Körper vielleicht nicht nur ein Schmerzgedächtnis, sondern auch die Psyche. „Ich möchte niemanden anlügen und sagen, dass es leicht wird. Es bleibt beschissen schwer, aber es wird leichter. […] Der Schmerz wird aushaltbar, weil er so vertraut ist.“

Es ist nicht einfach, eine Sprache für Trauer zu finden. Diese beiden Bücher sind ein Beispiel dafür, wie es gelingen kann. Denn obgleich über den Tod zu schreiben ein unmögliches Vorhaben bleibt, weil er sich nicht denken lässt, eröffnen sie auf ganz unterschiedliche Weise Blickwinkel, wie Trauer und ein Miteinander nach einem Verlust gelebt werden können.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!