Zwangsprositution: "Freier müssen Verantwortung zeigen"
Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel wenden sich selten an die Polizei, sagt die Journalistin Inge Bell. Viele Frauen wissen nichts über ihre Rechte - oder haben Angst vor der Abschiebung
taz: Frau Bell, das Thema Frauenhandel und Zwangsprostitution hatte im vergangenen Jahr im Vorfeld der Fußball-WM plötzlich Konjunktur. Hat das den Opfern genützt?
Inge Bell: Als ich vor acht Jahren anfing, mich mit dem Thema zu beschäftigen, hieß es in vielen Redaktionen noch: Ach, das gibts doch gar nicht, die kommen doch alle freiwillig. Das hat sich mittlerweile geändert - und das nützt den Opfern.
Inge Bell (40) arbeitet als Journalistin mit Fokus auf den Ost-Balkan. 2005 erschien ihr Buch "Verkauft, versklavt, zum Sex gezwungen". Für ihr Engagement gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution wurde sie von der Europäischen Bewegung mit dem "Preis Frauen Europas" geehrt. Sie unterhält zwei Hilfsprojekte für Frauen in Bulgarien und betreibt eine Homepage (s. Link), die Freier sensibilisieren will.
Im Vorfeld der Fußball-WM 2006 hatten manche Verbände vor 40.000 neuen Zwangsprostituierten gewarnt. Das BKA zählte hinterher für 2006 kaum mehr Opfer als im Jahr zuvor: 775. Nun wird der Vorwurf der Panikmache wieder lauter.
Ja, diesen Vorwurf höre ich sehr oft: dass sich die NGOs nur wichtig machen wollen und es ihnen um Spenden geht. Nur vergessen die Leute dabei, dass die Polizei die wenigsten Zwangsprostituierten zu Gesicht bekommt. Die vielen Prostituierten aus den neuen EU-Ländern Rumänien oder Bulgarien etwa reisen visafrei ein. Dass sie keine Arbeitserlaubnis haben, ist bloß eine Art Ordnungswidrigkeit, dafür kann man jemanden nicht mit auf die Wache nehmen. Und in ihrem Bordell werden die Frauen nicht wagen, aufzumucken.
Haben die Frauen denn kein Interesse daran, sich der Polizei zu offenbaren?
Das ist ein altes Missverständnis seitens des Westens. Die Frauen kommen aus Ländern, in denen die Polizei größtenteils korrupt ist. Wir drehten mal in Russland auf dem illegalen Strich in St. Petersburg. Als ein Polizeijeep auftauchte, dachten wir: Okay, jetzt kommt eine Razzia und alle Prostituierten werden verschwinden. Das Gegenteil passierte: Alle strömten zu dem Wagen und gaben ihr Schutzgeld ab. Sie kennen die Polizei nicht als Helfer, sondern als Komplizen der Menschenhändler.
Ist das auch ein Grund, warum so wenige Opfer von Zwangsprostitution in Prozessen aussagen wollen?
Ja. Aber die Hemmschwelle, als Zeugin in einem Prozess auszusagen, ist sowieso erheblich. Denn in ihrem Heimatland, in das sie am Ende abgeschoben werden, gibt es in der Regel keinen Schutz vor den Menschenhändlern. So lange wir diese Frauen weiter abschieben, werden sie nicht aussagen.
Wenn die Frauen einen legalen Status erhalten würden - wären sie dann noch von Menschenhändlern erpressbar?
Die Frauen, mit denen ich spreche, wissen über ihren Status und ihre Rechte oft nichts. Sie haben sich zu Hause nicht bei den Behörden erkundigt, weil sie denen nicht trauen. Die Menschen vertrauen wie eh und je ihrem sozialen Umfeld. Jemand sagt: Ich besorg dir eine Stelle und mache den Papierkram. Und wenn die Frauen dann hier sind, werden sie plötzlich erpresst und bedroht - und trauen wiederum den deutschen Behörden nicht.
Zumindest die Hälfte der Frauen, die das BKA gezählt hat, wollten tatsächlich als Prostituierte arbeiten. Betrifft das Problem also nur eine Minderheit?
Es gibt tatsächlich Prostituierte, die hier arbeiten wollen. Das heißt aber nicht, dass sie in einem Zwangsverhältnis landen wollten. Auch wer hier als Prostituierte arbeiten will, gibt deshalb nicht seine Menschenrechte an der Grenze ab. Darüber hinaus geben mir die Studien zu denken, nach denen die Mehrzahl der Prostituierten in ihrer Kindheit Gewalt oder sexuelle Gewalt erlebt hat. Ob diese Frauen alle so freiwillig arbeiten oder nicht auch aus einer Beschädigung und einem Mangel an persönlichen Alternativen, das ist für mich eine Frage, die ich nicht ausklammern möchte.
Es gibt Versuche, in den Herkunftsländern mehr Aufklärung über Zwangsprostitution und Menschenhandel zu betreiben. Das scheint aber nicht ganz einfach zu sein. Warum?
Ja. Es gibt Länder wie Russland, in denen das Problem offiziell geleugnet wird - deshalb gibt es dort auch keine Aufklärung. Dann ist es so, dass etwa die IOM Plakatkampagnen in Weißrussland gemacht hat, sehr eindrucksvoll. Nur haben die gar nichts gebracht. Dass es Menschenhandel gibt, ist allen klar. Aber jede glaubt: "Mir passiert das natürlich nicht. Ich kenn doch den, der mich da vermittelt." Dass die eigenen Bekannten sich etwas damit verdienen könnten, sie einem Zuhälter weiterzuverkaufen, können sie sich nicht vorstellen. Dabei ist das nicht selten.
Die Union will nun Freier von Zwangsprostituierten bestrafen. Ist das sinnvoll?
Ja. Ich habe ja etwa aufgedeckt, dass deutsche KFOR-Soldaten in Mazedonien auf dem Babystrich aktiv waren. Es gab deshalb zwei Ermittlungsverfahren. Der Dresdner Staatsanwalt stellte fest, dass die Soldaten die Zwangslage der Prostituierten hätten erkennen können: etwa, weil die Frauen in vergitterten Räumen eingesperrt waren. Aber es kam zu keinem Verfahren, weil das Besuchen von Zwangsprostituierten nicht strafbar ist. In diesen Fällen hätte so ein Paragraf genützt. Das ist umso bedauerlicher, als die Bundeswehr ja gerne heute noch die Tatsache, dass Soldaten zu Zwangsprostituierten gehen, in Abrede stellt.
Tritt denn ein Freier noch als Zeuge auf, wenn er eine Strafe zu befürchten hat?
Es soll ja eine Kronzeugenregelung geben. Ich finde es wichtiger, dass die Freier hier verantwortungsbewusster werden - und das werden sie nur, wenn eine Strafe droht. Die meisten Tipps von Freiern gehen übrigens ohnehin anonym ein.
Reicht es aus, die anderen Freier zu bestrafen?
Nein. Wir müssen vor allem den Opfern hier eine gesicherte Perspektive und ein Aufenthaltsrecht geben, wie Italien es tut. Dieses Recht wurde nicht missbraucht, wie die Erfahrung zeigt. Und es wird schon lange vom Europarat gefordert.
INTERVIEW: HEIDE OESTREICH
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