: Zwangsfusion droht
■ Versuch von Bündnis 90 und Grünen, sich auf freiwilliger Basis zu vereinigen, vorerst gescheitert / Bündnis 90 verärgert
Berlin. Über ein Jahr lang hatten die Grünen und das Bündnis 90 in Berlin um die Grundlagen einer zukünftig gemeinsamen Organisation gerungen. Das Ergebnis der Verhandlungen, die „Satzung des Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Berlin“, wurde am Samstag den parallel tagenden Landesdelegiertenkonferenzen der beiden Organisationen zur Abstimmung vorgelegt – und von den Basisvertretern der Grünen verworfen. Während die im Haus der Demokratie tagenden Delegierten des Bündnis 90 der Satzung en bloc ihre Zustimmung gaben, wurden bei der gleichzeitig in Kreuzberg tagenden Schwesterorganisation Änderungswünsche laut.
Die Delegierten dort mochten sich nicht damit abfinden, daß in der neuen Satzung die Rotation auf zwei Legislaturperioden ausgedehnt wird. Die Versammlung bekräftigte statt dessen den Vier-Jahres-Rhythmus.
Auch widersprach sie dem Wunsch des Bündnis 90 nach einer paritätischen Besetzung des Geschäftsführenden Ausschusses, indem sie die Zahl seiner Mitglieder von acht auf neun erhöhte. Erst mit diesen beiden und einer Reihe weiterer, allerdings weniger wichtiger Änderungen wurde die zu beschließende Satzung mit 80 zu 5 Stimmen angenommen.
Mit diesem Ergebnis war für Grünen-Vorständler Jochen Esser klar, „daß die Grünen zur Zeit nicht in der Lage sind, mit dem Bündnis 90 gleichberechtigt zusammenzugehen“. Die Delegierten hätten eine Satzungsdebatte geführt, „als wären sie unter sich“. Ein Grund für diesen demonstrativen Vorbehalt gegenüber Bündnis 90 lag in den Auseinandersetzungen der letzten Tage um das Prinzip der Gewaltfreiheit. Das Bündnis 90 hatte in öffentlichen Erklärungen Grünen-Politikern mangelnde Abgrenzung gegen Gewalttäter vorgeworfen und sich gegen eine Teilnahme an der Anti-Olympia-Demonstration ausgesprochen.
Wegen entsprechender Erklärungen hatte die gemeinsame Abgeordnetenhausfraktion ihrer Vorsitzenden Anette Detering eine Mißbilligung ausgesprochen. Einige Abgeordnete hatten darüber hinaus erklärt, daß sie sich nicht mehr von ihr vertreten sehen. Daraufhin hatte das Bündnis 90 am Samstag Detering das Vertrauen ausgesprochen.
Das Vorstandsmitglied des Bündnis 90, Thomas Kreutzer, erklärte gestern, daß das Ergebnis der Grünen-Delegiertenkonferenz für seine Organisation nicht hinnehmbar sei. Es werde nun schwierig, den Zeitplan einzuhalten. Ursprünglich sollte am 19. Juni die erste gemeinsame Delegiertenkonferenz einen neuen Vorstand wählen. Da diese wahrscheinlich nicht zustande kommt, wollen die Grünen nun die Mitglieder der beiden Organisationen in Vollversammlungen über die strittige Satzung abstimmen lassen. Kreutzer ist mit einem solchen Vorgehen nicht einverstanden, denn zunächst müsse außer über die Satzung auch noch über die Finanzen und eine gemeinsame politische Erklärung verhandelt werden. Auch diese enthält einigen Zündstoff, soll sie doch unter anderem die deutschlandpolitische Vergangenheit der AL kritisch thematisieren.
Sollte eine Einigung über all diese Punkte bis zum 31. Juli nicht zustande kommen, geht die Initiative auf die frisch fusionierte Bundespartei Bündnis 90/Grüne über. Diese wird dann einen kommissarischen Landesvorstand einsetzen, dem die Vereinigung der beiden streitenden Landesorganisationen obliegt. Dieter Rulff
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