Zurückgetretener Premier in Serbien: Wo ist die Alternative?
Machthaber Aleksandar Vučić lässt seinen Premier fallen, um von sich selbst abzulenken. Das Problem im Land ist die zersplitterte Opposition.
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N ach drei Monaten Protesten von Studierenden ist der serbische Ministerpräsident Miloš Vučević zurückgetreten. Dem war eine 24-stündige Verkehrsblockade in Belgrad vorangegangen, der sich Zehntausende angeschlossen hatten, darunter auch Landwirte. Es ist die größte Protestbewegung in Serbien seit dem Sturz des Milošević-Regimes.
Der Protest geht auf den Einsturz des Bahnhofsvordachs in Novi Sad im vergangenen November zurück. Besonders brisant: Der Bahnhof war frisch renoviert; die neue Schnellstrecke hatte der omnipräsente Präsident Aleksandar Vučić in seinem Wahlkampf herausgestellt. Die Regierung behauptete, das Vordach sei nicht Teil der Bauarbeiten gewesen, was sich als Lüge herausstellte. Der Verdacht: 15 Menschen sind tot, weil sich ein korruptes Regime Geld in die eigenen Taschen statt in den Bau steckte.
Laut Umfragen unterstützen 61 Prozent der Bevölkerung die Studierendenproteste. Selbst Nationalheld Novak Đoković – sonst nicht als Regierungsgegner bekannt – erklärte seine Unterstützung. Auch von rechts und vom Land gibt es schon länger Unmut gegen Vučić wegen des geplanten Lithiumabbaus im serbischen Jadartal.
Die seit Jahren andauernden Proteste von Progressiven konnte Vučić aussitzen, weil sie in der Minderheit sind. Wenn die Kritik aber von links und rechts – von Đoković und den Bauern – kommt, dann wird es eng. Nun hat er seinen Ministerpräsidenten geopfert und einen Regierungsumbau angekündigt, um dem Protest den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Die Studierenden machen sich derweil mit keiner der zahlreichen kleinen Oppositionsparteien gemein – aktuell ist das eine Stärke. Es ist aber auch eine Schwäche, weil keine Alternative zum System Vučić erkennbar ist. Der Staat wurde in den vergangenen 12 Jahren von der Regierungspartei gekapert, die Opposition unterdrückt und marginalisiert. Aleksandar Vučić wird jetzt wohl versuchen, einen neuen Befehlsempfänger zu installieren und so weiterzumachen wie bisher. Unklar ist zum jetzigen Zeitpunkt, ob er damit durchkommt angesichts des wachsenden Unmuts.
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