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Zurück zu den heißen Quellen

Wolfgang Müller überträgt Goethes Schrift über die „Metamorphose der Pflanzen“ ins Isländische und verhilft auch dem schwulen Enkel des Dichterfürsten zu neuen Ehren

Ende der Neunzigerjahre warfen aufgebrachte Isländer eine massive Goethe-Büste in das gurgelnde Eismeer. Nicht ohne Grund: Kurz vor der Bundestagswahl war das Goethe-Institut in Reykjavík von der Kohl-Regierung geschlossen worden.

Doch ist das Leben eben nicht nur auf Island ein „wechselnd Weben“. Das Wahlvolk schickte Kohl in den Orkus, und die Sozis machten den Kulturladen in einem Hinterhof der Reykjavíker Innenstadt als „Goethe-Zentrum“ wieder auf. Inzwischen gab es bereits medienwirksame Konkurrenz: Im „Living Art Museum“ der isländischen Kapitale stand eine Installation mit dem Namen „Privates Goethe-Institut Reykjavík“. Ein Tisch, ein Telefon, ein Faxgerät, voll funktionsfähig – und mit der Telefonnummer des abgewickelten echten Instituts. Urheber dieser Aktion: der Berliner Elfenforscher, Musiker und Orchideenfreund Wolfgang Müller sowie Elisa Alfredsdottir, Künstlerin und einziges Mitglied der isländischen Transvestitenorganisation.

Als Müller in einer Schlingensief-Inszenierung der Berliner Volksbühne als „Direktor des privaten Goethe-Instituts Reykjavík“ auftrat, wurde die ganze Angelegenheit plötzlich zur Haupt- und Staatsaktion. Die Rechtsabteilung der Münchner Institutszentrale drohte wegen schwerer Verstöße gegen das Markenschutzrecht mit einer Schadenersatzklage in fünfstelliger Höhe. Der nüchterne Hinweis des Beschuldigten, es habe sich hierbei doch lediglich um Bühnenkunst gehandelt, änderte auch nichts mehr. Die Kulturbajuwaren sahen nur noch „absolut minimalen Spielraum“ für eine außergerichtliche Beilegung des Streits.

Schließlich einigte man sich aber doch noch gütlich: Die Goetheaner stimmten der Umbenennung des Rekjavíker Instituts in die „Walther von Goethe Foundation“ zu. Müller musste sich im Gegenzug dazu verpflichten, nie mehr als vermeintlicher Direktor eines wie auch immer gearteten Goethe-Instituts aufzutreten. Eine merkwürdige Metamorphose hatte sich da vollzogen: Kunst war zu Wirklichkeit geworden und Wirklichkeit zu absurder Kunst.

Die nach dem kaum bekannten schwulen Enkel des berühmten Dichters benannte Foundation – erster Präsident: ein gewisser Professor Wolfgang Müller – hat nun als endgültigen Beweis für die Verwandlung von Dichtung in Wahrheit eine eigene Schriftenreihe aufgelegt. Erste Folge: die deutsch-isländische Version von Goethes Schrift über die Metamorphose der Pflanzen. Das vom isländischen Germanisten Jon Bjarni Atlason übersetzte Werk ist aber nicht nur ein Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Goethe-Institut. „Wissenschaftlich ist die Schrift zwar überholt“, weiß Müller, „aber sehr schön ist die Art, wie Goethe den Wandlungsprozess beschreibt.“

So ähnlich seien auch seine eigenen Kunstprojekte: eine ständige Mutation. Der mitteldeutsche Dichterfürst selbst hatte bekanntermaßen ebenfalls einen besonderen Hang zur Selbstmetamorphose – schon in seiner Jugend frönte er der Leidenschaft, sich zu verkleiden. „Werde, der du bist“: in Goethes Werk klappt der Gestalt-Switch zwischen den Geschlechtern so reibungslos, dass der Geheimrat sich bestimmt auch über die diesjährige Gay Pride Parade in Reykjavík gefreut hätte. Denn da war die „Walther von Goethe Foundation“ pünktlich zum Erscheinen der isländischen Metamorphosen-Übersetzung neben „Dykes on bikes“ und Peitsche schwingenden Dominas mit einem eigenen Festwagen präsent.

ANSGAR WARNER

Johann Wolfgang von Goethe: „Versuch die Metamorphose der Pflanzen zu erklären“. Hg. und mit einem Beitrag zur Entstehung der Walther von Goethe Foundation versehen von Prof. Wolfgang Müller. Martin Schmitz Verlag, Berlin, Reykjavík 2002. 122 S., 14,50 €. Wolfgang Müller hat neben dem Schweizer Künstler Ueli Etter die morgen erscheinende Literaturbeilage der taz illustriert.

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