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■ Zurück bleibt nichts: Das Viertelfinal-Aus von Lyon ist das konsequente Ende für ein deutsches WM-Team, das nicht bloß nicht gut genug war, wie eh jeder wußte. Entlarvt ist auch das Gerede von den spezifischen deutschen Tugenden.Das war

Zurück bleibt nichts: Das Viertelfinal-Aus von Lyon ist das konsequente Ende für ein deutsches WM-Team, das nicht bloß nicht gut genug war, wie eh jeder wußte. Entlarvt ist auch das Gerede von den spezifischen deutschen Tugenden.

Das war kein Epos, Berti!

Pfft. Und weg. So sind die Helden verschwunden. Bloß: daß sie keine Helden sind. Tränen gab es übrigens auch keine, oder wenn es welche gab, dann sind sie wenig wert. Man muß es nach der Nacht von Lyon leider sagen: Das war ganz und gar kein Epos, Berti.

Keine Odyssee war das, auch wenn viel hin und her geirrt wurde. Das Ende ist noch nicht einmal unglücklich – es ist bloß konsequent. (Das kann man jetzt lässig hinschreiben.) Selbst der Platzverweis des Verteidigers Christian Wörns hat nichts Tragisches, er war nur die Summe individueller Unzulänglichkeiten.

Keine Häme, bloß: Nachdem sich aber am Samstag in Lyon herausgestellt hat, daß die deutsche WM-Expedition letztlich nicht tugendhaft gut genug war, ein solide organisiertes Team wie Kroatien zu schlagen, dürfen nun die Freunde der Fußballkultur eben den Kopf auch mal wieder nach oben nehmen.

Denn: Natürlich gibt es bei einer WM einen Schönheitspreis zu gewinnen. Wer ihn holt, wie die Engländer, der darf sich wenigstens in seinem Schmerz suhlen, trösten und arrangieren. Die Engländer haben mit ihrem grandiosen Ausscheiden ein Erlebnis bekommen, über das sie noch in Jahren mit wachsender Begeisterung reden können. Wozu sollte Fußball denn sonst gut sein? Die DFB-Fußballer gehören, im Gegensatz dazu, zu den acht besten Teams der Welt. Erstens: Das ist angesichts der Qualität der Spieler ein respektables Ergebnis und weist Berti Vogts als Erfolgstrainer aus. Zweitens: Bereits heute aber, da sich Trainer und Spieler eben aus Nizza in alle Winde zerstreuen, ist außer dem Ergebnis nichts mehr übrig. Die Deutschen haben verloren, wie sie zuvor gewannen: Lapidar. Einfach so. Pfft.

Wenig bis nichts wird also bleiben von der deutschen Fußballklasse von 1998, was im kollektiven Fußballgedächtnis erinnert werden könnte. Das mag hart sein für verdiente Ausnahmefußballer wie den Kapitän Jürgen Klinsmann, den Weltklassestürmer Oliver Bierhoff, den Torhüter Andreas Köpke, insbesondere den gedemütigten Olaf Thon. Aber, sagt selbst Berti Vogts: „Diese Spieler haben dem Fußball alles zu verdanken. Da müssen sie jetzt auch einmal eine Niederlage wegstecken.“ Das ist schön gesagt. Manches andere leider nicht, was der DFB-Trainer und mit ihm einige Spieler nach der Niederlage von sich gegeben haben, über (Überraschung!) den Schiedsrichter, einen Weltverband, mit dem der DFB mal „ein klares Wort“ sprechen müsse, da „die anderen spucken, kratzen und beißen“, ungestraft, versteht sich, während der Deutsche eine rote Karte bekommt. Eine internationale Verschwörung? Bei allem Bemühen ist sie nicht wirklich zu erkennen. Andererseits ist es eine alte Taktik des Mannes, sein „Ich bin jetzt beleidigt“-Gesicht präventiv vor sich herzutragen, um die Leut' davon abzuhalten, mit ihm beleidigt zu sein.

Soll man? Muß man? Auch das Beharren des Trainers auf eine bestimmte Art Fußball hat einen Grund: Die Spieler, das fürchtete er, würden für einen anderen Fußball nicht taugen. Die Furcht dämpfte er auch nie, er lebte von und in ihr.

Das Team war tatsächlich zu alt. Es hatte ohne Matthias Sammer (und ohne Stefan Effenberg) keinen außergewöhnlich guten Fußballer, der den Unterschied hätte ausmachen können, bloß eine Knospe (Dietmar Hamann), die aber nur ansatzweise aufblühte. Statt Fußballer zu suchen und auszubilden, haben die Deutschen an einem Mythos gearbeitet, der reichte, Angst und Schrecken zu verbreiten: „Wenn wir uns auf unseren Fußball besinnen“, das hat der Kapitän Klinsmann wiederholt, bis er es selbst glaubte, „wird es für jede Mannschaft schwierig, uns zu schlagen.“ Das Zauberwort des Kapitäns war immer: „Wille.“ Als funktioniere Fußball wie die Augsburger Puppenkiste: Weil Kalle Wirschs Wille stärker ist, wird Zoppo Trump zum Zwerg kleingeraxelt. Das Ganze erinnerte, als die Wochen in Nizza ins Land zogen, verdächtig an die Werbekampagne des Hans-Hermann Tiedje: Ihr werdet schon sehen, daß wir gewinnen, wenn wir den Leuten nur fest einreden, daß wir gewinnen.

Das Leben ist aber nicht immer so. Also saß Tiedjes Klient Helmut Kohl auf der Tribüne von Lyon, und die ganze Welt mußte mit einem Mal erkennen, daß alles eine große, fette Lüge war. Die Kroaten, diese hungrigen Emporkömmlinge, waren diejenigen, die endlich einmal gewinnen wollten. Die Profis des DFB dagegen, die wichtigen allesamt längst Weltmeister, vermochten nicht einmal mehr den unbedingten Willen zum Sieg aufzubringen – das eigentlich mit sich und dem Leben zufriedene Team hatte bis Lyon nur so getan, als habe es ihn. Oder geglaubt, es habe ihn noch – und dann gemerkt, daß es nicht so war.

Was die Bedeutung dieser Niederlage für Team, Land und Kanzler betrifft, so kann man sagen: Natürlich war es sehr wahrscheinlich so, daß der Platzverweis des Manndeckers Christian Wörns das Kräfteverhältnis zuungunsten der bis dahin am Soll arbeitenden Deutschen verschob. Aber wo käme man hin, würde man die Ergebnisse von Fußballspielen bloß auf ein singuläres, zufälliges Ereignis auf dem Spielfeld reduzieren? Wollen nun zwar nicht anfangen von den deutschen Arbeitern an den deutschen Fließbändern, die in den 90ern auch nur noch müde gähnen, oder der mißglückten Wiedervereinigung – obwohl mit den eingewechselten Ostlern Kirsten und Marschall alles vollends den Bach runter ging.

Nur lapidar feststellen, daß der deutsche Fußball mit dem DFB- Trainer Vogts mit nun zwei Viertelfinalteilnahmen nacheinander die schlechteste 1-2-Kombination aller Zeiten zu verbuchen hat. „Vielleicht“, hat Verschwörungstheoretiker Vogts geargwöhnt, „ist der deutsche Fußball zu erfolgreich.“ Nun, diese Sorge ist man los. Peter Unfried, Nizza

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