Zurück aus Moskau trotz Aschewolke: Ab Vilnius mit dem Taxi

In Mitteleuropa ist der Luftraum gesperrt. Der Journalist Marcus Bensmann war auf der Rückreise von Kirgistan nach Berlin. Auf dem Moskauer Flughafen war erst einmal Schluss.

Der Flughafen Scheremetjewo im Westen von Moskau. Bild: dpa

MOSKAU/BERLIN taz | Der VW Sharan mit dem litauischen Nummernschild überquerte am Sonntag um 21:38 Uhr die Oder-Brücke. Den Raum im litauischen Taxi teilte ich mit zwei englischen Touristinnen, die von einer Urlaubsreise aus St. Petersburg zurück nach London mussten, und eine dreiköpfige Delegation einer Dresdener Maschinenbaufirma, die in Moskau eine Messe zu Schürftechnik besucht hatten.

Zwischen den Freiräumen der Arme, Beine und Körper waren die Koffer, Rücksäcke und Taschen verstaut. Die Aschewolke über Europa hatte die Reisegesellschaft zur Taxifahrt für 30 Cent den Kilometer zu einer 12 stündigen Fahrt von Vilnius nach Berlin vereint. Die Schließung der europäischen Flughäfen stellte die gestrandeten Passagiere vor der Alternative: Warten oder bewegen.

Meine Heimreise begann am Freitagmorgen in Zentralasien, in Kirgistan. Die kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijew war Donnerstagabend nach der Revolte nach Kasachstan geflüchtet und ich wollte zurück nach Berlin.

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Pünktlich um 6:30 Uhr startete vom Flughafen der kirgisischen Hauptstadt Manas in Bischkek die Aeroflot mit Flugnummer SU 180 nach Moskau. Im Hotelzimmer in der Nacht zuvor flimmerten die Nachrichten zu der sich über Europa ausbreiteten Aschewolke über den Bildschirm. Ich ahnte, es könnte knapp werden.

Die Aeroflot landete in Scheremetjewo, dem Flughafen im Westen der russischen Hauptstadt, im Terminal F, dem hässlichsten Teil des Moskauer Flughafens: Verwinkelt, zugebaut unübersichtlich.

Das haben sich die Russen auch gedacht und ein neue Terminal D gebaut; von dem sollte ich dann auch weiter nach Berlin fliegen. Auf dem Weg zum neuen Terminal sickerte die Nachricht durch, dass der Weiterflug nach Berlin um viele Stunden verschoben werden würde.

Im Transitzentrum des Terminal D erhielt ich neben der Bordkarte auch gleich zwei Essengutscheine. „Es könnte länger werden“, sagte die Flughafenmitarbeiterin und lächelte. Danach ging ich durch die Passkontrolle und stand in der piekfeinen neuen Abflughalle, Parkettfußböden, große Panoramafenster, geschmackvolle Bestuhlung, schöne Bars und Restaurants, die Toilettenräume gekachelt und sauber.

„Die Russen haben ein schönes Terminal hingestellt“, dachte ich mir und stellte mich auf eine lange aber angenehme Wartezeit ein.

Ich setzte mich in den grünledrigen Sessel ein Restaurant mit britischen Pubflair, und bestellte einen Cafe. Die Essensgutscheine wollte ich mir aufheben.

„Ich nehme nur russische Rubel“ raunzte mich der russische Kellner an, „keine Kreditkarten und keine andere Währung“. Im Abflugbereich des neuen Terminals gibt es aber weder ein Geldautomat noch eine Wechselstube.

Der ersten Absurdität in dem Moskauer Flughafengebäude folgten andere im Minutentakt. Die durch die Abflughalle hetzenden Mitarbeiterinnen von Aeroflot fühlten sich nicht zuständig und verwiesen mit Tränen in den Augen auf einen Informationstand, der aber den ganzen Tag über unbesetzt blieb. Immer mehr Reisenden strandeten in der Abflughalle und verfolgten schwarmartig jeden Mitarbeiter in Uniform. Eine Stewardess schickte die Suchenden zum Transitzentrum, das sich aber hinter der Passkontrolle befand und somit für alle Passagiere unerreichbar war.

Wenn es schon keine Information im Flughafen gibt, so kann das Internet helfen. Im Terminal spürte das Laptop zwei Wirelessnetze auf. Das des britischen Pubs forderte ein Passwort. Keiner der Kellner kannte es. Das andere Netz verlangte den Erwerb einer Karte einer russischen Telekomfirma, die es aber nirgends zu kaufen gab. Weder im Flughafen noch in Moskau selbst.

Dann folgte der Teufelskreis zum Erhalt des russischen Visums. Als der Weiterflug nach Berlin mit der Flugnummer SU227 ganz vom Flugplan genommen wurde, war klar, dass nur der Landweg offen steht. Nach Stunden des Telefonierens hatte ich endlich die Zusage des russischen Konsulats für ein Transitvisum.

Aber das Konsulat befand sich im alten Terminal F, und für eine Fahrt dorthin bedurfte es ein roten Kärtchen, das nur hinter der Passkontrolle ausgegeben werden konnte – es war daher auch für mich unerreichbar.

Russland ist das Heimatland der bürokratischen Absurdität. Aber meist erscheint in der letzten Verwicklung eines Teufelskreises dann doch ein verständiger Russe, der auf alle Gebote und Regeln pfeift, und ein Türchen öffnet.

In der Nacht zum Samstag stand ich mit einem Drei-Tage-Visum in Moskau. Die kürzeste Route mit dem Zug über Minsk nach Berlin war aber wegen des Fehlens eines weißrussischen Visums versperrt. Als einziger Weg blieb der Nachtzug nach St. Petersburg und von dort weiter durch die baltischen Staaten nach Vilnius.

Am Sonntagmorgen versammelten sich am Bahnhof in der litauischen Hauptstadt die Reisenden, die sich ebenfalls aus Russland auf den Weg in den Westen gemacht hatten. Die weiteren Zugverbindungen durch Polen waren ausgebucht. So blieb nur die Taxifahrt durch Polen, das an jenem sonnigen Sonntag den am Flugzeugabsturz verstorbene Präsidenten beerdigte.

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