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■ Zur Misere an den Hochschulen der BundesrepublikEndstation Notstand

Im Kongreßhotel „Zur Endstation“ sitzen die ExpertInnen der Hochschulreform und listen auf, was vernünftig, machbar und sparsam ist. Alle didaktischen und organisatorischen Projekte, die einmal mit der ersten Studienreform (1965–1976) verknüpft waren, tauchen wieder auf, dazu noch ein paar Folterinstrumente, die den Einsatzwillen der StudentInnen stärken sollen (Gebühren, Zwangsexmatrikulation, soziale Drohungen). Eine notorische Nörglerfraktion stellt dauernd die Frage, wozu das alles dienen soll. Die Mehrheit unisono: „Zur Studienzeitverkürzung!“ Kaum sind die Türen geschlossen und die Öffentlichkeit nicht mehr Zeuge, ist das nicht mehr so klar. Mittlerweile wissen auch die härtesten Technokraten, daß kurze Studiendauer weder ein Wert für sich ist und daß die volkswirtschaftlichen und sozialen Folgen langer Studienzeiten jedenfalls nicht so negativ und vor allem kostenträchtig sind, wie allgemein verkündet. Aber mit kurzen Studienzeiten könnte einer erhöhten Durchsatzgeschwindigkeit zum „Output“ hin bewirkt werden, wenden die Politiker ein, und damit würden die Hochschulen zu mehr Effizienz im Mitteleinsatz gezwungen, und dadurch könnten mit mehr Überzeugungskraft mehr Mittel gefordert werden, und außerdem würden unsere AbsolventInnen um so mehr Chancen haben, je jünger sie sind.

Alles falsch, wir wissen das. Es gibt immer weniger LangzeitstudentInnen, weil es immer weniger VollzeitstudentInnen gibt. Erwerbstätigkeit, aber auch geteilte und bewußt gewählte biographische Teilzeitengagements lassen gar nicht zu, wovon Gesetz und politische Rhetorik ausgehen. Die sozialen Bedingungen wie die Organisation der Hochschulen machen es unmöglich, alle StudentInnen zeitgleich und zügig im Präsenzstudium zu versorgen. Hinter vorgehaltener Hand bitten die Arbeitgeber auch diskret, mit dem Output etwas zu warten, der Markt kann gar nicht so viele AkademikerInnen aufnehmen.

Ach ja, und dann gibt es ja noch die Inhalte und Zwecke von „Wissenschaft“. Nebenan, in der Kneipe „Zum Notstand“, tagt eine studentische Gipfelkonferenz und wehrt sich gegen die Entwissenschaftlichung des Studiums. Die Forderungen der StudentInnen gleichen, bis auf die erwähnten Folterinstrumente, den Vorschlägen der großen ExpertInnenrunde an der „Endstation“, aber sie weisen auf die Studienbedingungen, ihre soziale Verelendung, ihre unterprivilegierte Rolle bei der Gestaltung des Studiums hin. Und sie sagen deutlicher als die großen Gipfelstürmer, daß genug Geld da ist, nur holt es niemand ab.

Dem deutschen Michel ist das noch ziemlich wurscht. Sozialwesen, Gesundheitswesen, Hochschulwesen – alle diese Wesen sind teuer und müssen billiger werden, und deshalb wird auch kein Geld bewilligt, sondern es soll weiter gekürzt werden. Die Schuldzuweisung ist einfach: die Hochschulen bilden schlechter aus als möglich – stimmt! Das Pflichtenheft für Lehrende und Studierende ist unterentwickelt gegenüber ihren Ansprüchen an den Staat – stimmt! Aber die Hochschulen wehren sich und sagen: diese Mißstände können und wollen wir abschaffen, wir wollen uns mit den Studierenden auf Reformen einigen, aber nur auf der Basis einer personellen und materiellen Ausstattung, die es erlaubt, überhaupt damit anzufangen – stimmt auch! Die Finanzminister haben ein Einsehen mit dieser Zwickmühle und gestehen der Kultusministerkonferenz zu, daß öffentliche Hochschulen weiterhin Geld kosten werden, aber doch weniger als gefordert, die Differenz sollen die Hochschulen durch erzwungene oder freiwillige Einschränkungen im Leistungsangebot einbringen. (Das ist so, wie wenn die Post argumentierte, sie mache Reingewinn vor allem dadurch, daß Briefe statt der erlaubten 20 Gramm pro 1-DM-Briefmarke nur 16 Gramm im Durchschnitt wiegen – die Differenz macht den Profit.)

Jahrelange Kürzungen (seit 1975 realer Abbau der Zuweisung pro Studentin, völlige Stagnation der Lehrkörper, unsägliche Betreuungsrelationen, miserabler Hochschulbau, unzureichende Nachwuchsförderung), haben uns in die Knie gezwungen. Reformen, die früher in den Gestaltungsspielräumen der berechtigten Zuwächse ihren Sinn hatten, verkommen heute zu legitimatorischen Turnübungen, weil der Sinn nicht mehr erkennbar ist. Staatszweck der Hochschulausbildung ist der Abschluß, nicht das Studium.

Widerstand ist angesagt:

Im „Notstand“ und an der „Endstation“ beschließt man gemeinsame Konsultationen, damit diese Annahmen zu gemeinsamen Forderungen führen könnten.

Dann machen die Forderungen nach mehr Autonomie, nach mehr Verantwortlichkeit, auch nach mehr gegenseitiger Profilierung der Hochschulen Sinn, dann ist es klug, die Studierenden mit Studienzeugnissen zu versehen, wenn sie keinen Abschluß wollen (das sind doch keine Drop-outs), dann geben Evaluationen der Öffentlichkeit (das sind auch die SteuerzahlerInnen!) auch Einblick in die inhaltliche Arbeit, für die sie mehr zahlen soll ... Ganz zu schweigen davon, daß der Erfolg der Hochschulreform der siebziger Jahre nicht zu Lasten der kommenden Generationen gehen darf.

Die vereinigten ExpertInnen aus „Notstand“ und „Endstation“ zanken sich noch über Paritäten und Verfahren, da rufen die Herolde schon den Bildungsgipfel aus. Ausgewählte StrategInnen der vereinigten Klagerunden sammeln ihre Papiere ein und treten dem Kanzler gegenüber. Das Recht auf Bildung, gewiß, aber die Studienzeiten. Die Notwendigkeit wissenschaftlicher Höchstleistungen am rohstoffarmen Standort Deutschland, gewiß, aber der Solidarpakt ...

Und dann sagen die Hochschulen: nein. Es gibt keinen Kompromiß zwischen Kürzungen und inhaltlichen Restriktionen. Gerade weil wir wissen, daß wir in den Hochschulen viel zu erneuern und zu korrigieren haben, mehr, als uns lieb sein kann, werden wir nicht darauf warten, daß uns dies almosenhaft bezahlt wird, wir aber weiterhin auf Diät gesetzt bleiben. Wir werden unsere Verfassung, unseren aktuellen und künftigen Zustand in die eigene Hand nehmen müssen, wenn wir noch einen Funken Verstand in der Aufgabe von Hochschulen und wissenschaftlicher Menschenbildung sehen, einschließlich beruflicher Qualifikation und kritischer Forschung. Aber das Geld brauchen wir trotzdem, und wir werden den Menschen in diesem Land sagen müssen, daß sie nicht nur zwischen Weltraumspaziergängen und Kampfflugzeugen und der wissenschaftlichen Ausbildung künftiger Generationen wählen müssen, sondern auch zwischen dieser und Autobahnen, Urlaubsreisen und Konsumgütern. Michael Daxner

Präsident der Carl-v.-Ossietzky- Universität Oldenburg, fertigte im Auftrag der Grünen ein Gutachten: „Entstaatlichung und Veröffentlichung. Die Hochschule als republikanischer Ort“. Hrsg. v. Heinrich-Böll-Stiftung e.V. Oldenburg, 1991.

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