piwik no script img

■ Zur Major-Reynolds-Erklärung in Sachen NordirlandWir, am Rande des Friedens? Lächerlich!

Das Schicksal der Nordirland- Erklärung, die der britische Premierminister John Major und sein irischer Amtskollege Albert Reynolds am 15. Dezember veröffentlicht haben, ist nach wie vor unklar. Die beiden Regierungen warten auf eine Antwort von der IRA und ihrem politischen Flügel Sinn Féin („Wir selbst“), mit der jedoch nicht vor dem 19. Januar zu rechnen ist. An diesem Tag wird die irische Regierung wahrscheinlich das Zensurgesetz aufheben, das unter anderem Interviews mit Sinn-Féin-Mitgliedern im Staatsfunk untersagt.

Während von der Sinn-Féin-Führung widersprüchliche Signale in Hinblick auf die anglo-irische Erklärung ausgesandt werden, bezieht die unabhängige Sozialistin Bernadette McAliskey eindeutig Stellung gegen das Dokument. Die 46jährige ist unter ihrem Geburtsnamen, Bernadette Devlin, als jüngste Westminster-Abgeordnete in die Geschichte eingegangen. Vor ihrem Wahlsieg im März 1969 war sie als eine der HauptorganisatorInnen der nordirischen Bürgerrechtsbewegung und Mitbegründerin der studentischen „People's Democracy“ bekannt geworden. Im Dezember 1969 wurde sie wegen „Aufruhr“ zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt. Nach dem „Bloody Sunday“ 1972, an dem britische Fallschirmjäger 14 unbewaffnete DemonstrantInnen in Derry ermordet hatten, versetzte sie dem damaligen Tory-Nordirlandminister Reginald Maudling eine Ohrfeige. Im Januar 1981 wurden Bernadette McAliskey und ihr Mann bei einem Mordanschlag loyalistischer Paramilitärs schwer verletzt. Ralf Sotschek

Ich lehne die „Gemeinsame Erklärung“ der Regierungen von Großbritannien und Irland ab. Sie leistet keinerlei positiven Beitrag zu Irlands „Britischem Problem“ und bietet deshalb keine realistische Chance, den Konflikt auf friedliche Weise zu lösen. Es handelt sich darüber hinaus um ein betrügerisches Dokument. Es werden Vorstellungen von Übereinstimmungen geweckt, die nicht existieren, und es werden Konzessionen werden, die niemand gemacht hat.

Solche Taktiken mögen raffiniert und clever erscheinen. Aber es mangelt ihnen in einem Ausmaß an Integrität, das nur Verachtung hervorrufen kann. Und im Kontext Nordirlands sind sie von einer geradezu kriminellen Verantwortungslosigkeit. Diejenigen, die bewußt an diesem Täuschungsmanöver beteiligt waren, werden sich ihrer historischen Verantwortung für die Folgen nicht entziehen können.

Keinesfalls handelt es sich um eine gemeinsame Prinzipienerklärung. Viereinhalb Artikel sind nur von Irlands Premier Reynolds unterschrieben, einer lediglich von John Major. Was ist die Substanz, auf die sich beide Seiten tatsächlich geeinigt haben?

1) Nordirland (der „Nordstaat“) ist und bleibt eine gesonderte Einheit in der Britischen Union, außer Nordirland als Ganzes entscheidet sich anders.

2) Nordirland werden seine eigenen Institutionen und politischen Strukturen zurückgegeben.

3) Sinn Féin bleibt die Teilnahme an dem ganzen Prozeß so lange verwehrt, bis sich die IRA den Quäkern anschließt.

– Kann mir also irgend jemand, die Korrektheit dieser Zusammenfassung vorausgesetzt, erklären, wie die konzertierte Aktion von Medien/Kirchen/Politikern dazu kommt zu behaupten, wir stünden nach der „Gemeinsamen Erklärung“ am Rande des Friedens?

Nordirland war niemals ein demokratisches Gebilde und wird nie eines sein. Vier von sechs Grafschaften haben 1918 gegen die Union mit Großbritannien gestimmt, und an dieser Haltung hat sich bei ausnahmslos allen Wahlen seitdem nichts verändert. Westlich des River Bann hat es nie eine Mehrheit für die Union gegeben. Warum wurde also die national-irische Mehrheit in das britische Nordirland gezwungen?

Nachdem dieser Staat mit terroristischen Mitteln gegründet worden war, haben die Anhänger der Union Strukturen und Institutionen aufgebaut, die ihre Macht maximierten und die der irisch-nationalen Kräfte minimierten. Wenn sie könnten, würden die Unionisten den Irisch-Nationalen nicht mal das Tageslicht zugestehen, geschweige denn Demokratie, Gleichheit oder Gerechtigkeit. Falls sie wieder staatliche Autorität zugestanden bekommen, werden die Unionisten alles tun, um die Mechanismen der sozialen und wirtschaftlichen Diskriminierung, der Erniedrigung und der Deprivation zu stärken, welche die irisch- nationale Gemeinschaft bisher zur Machtlosigkeit verurteilten. Diejenigen, die für fast 76 Jahre Gewaltanwendung gegen die irisch-nationale Gemeinschaft verantwortlich sind, sitzen am Verhandlungstisch. Genau wie diejenigen, die deren Sache verraten haben oder ihr gleichgültig gegenüberstanden. Die einzigen, für die kein Platz am Verhandlungstisch ist, sind diejenigen, welche die Hauptlast des historischen Irrtums zu tragen haben, der die Teilung Irlands heißt.

Absichtlich oder nicht – der irische Ministerpräsident Albert Reynolds ist zum Bestandteil eines gut durchdachten und durchtriebenen Plans geworden, der den Irisch-Nationalen eine letzte Gelegenheit gibt, sich flach auf den Boden zu werfen, ehe sie schließlich in die Ecke gestoßen werden.

Jetzt wird uns folgendes suggeriert: Wenn die IRA sich nicht freiwillig auflöst und Sinn Féin und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei dem Wiederaufbau der staatlichen Institutionen des Nordstaates nicht zustimmen, werden die Loyalisten losgelassen, um uns im Schlaf zu killen. Und das wird allein unsere Schuld sein. Aus Angst vor Bombenattentaten seitens UVF/ UDA [Ulster Volonteer Force, Ulster Defence Association, illegale paramilitärische protestantische Verbände Nordirlands d.R.] und des Britischen Geheimdienstes in Dublin wird die irische Regierung vor den Unionisten zurückweichen müssen etc.

Es sieht ganz nach einer Wiederholung des Szenarios von 1921 [Teilungsvertrag am Ende des Unabhängigkeitskrieges] aus. Ich glaube nicht, daß die Irisch-Nationalen im Süden oder im Norden das ganze Ausmaß des Betrugs verstehen, auf den sich die Regierung der Republik Irland mit ihrer Unterschrift unter die „Gemeinsame Erklärung“ eingelassen hat. Nicht ein Satz, nichtein Wort, nicht einmal irgend etwas zwischen den Zeilen nimmt in diesem Dokument Bezug auf die Leiden, die die irische Gemeinde in der Vergangenheit erdulden mußte und noch erduldet. Es findet sich auch nichts, was den Unionisten in dem Zeitraum, in dem sie sich mit dem Gedanken des einen Irland vertraut machen sollen, abverlangte, daß sie die national gesinnten Iren wie Menschen behandeln. Die Unionisten haben uns seit 1912 mit der UVF gedroht, und die Briten seit 1964 – und jetzt drohen also Reynolds und Spring.

Diese Beleidigung braucht keine Klarstellung. Ich weise sie zurück. Ich werde bei diesem Spiel nicht mitmachen. Hol' der Teufel Eure Konzessionen – ich bin ein menschliches Wesen und habe Anspruch auf Würde, Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden – genau in dieser Reihenfolge. Nichts davon bringt die „Gemeinsame Erklärung“. Bernadette McAliskey

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen