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■ Zur EinkehrIn der „Harmony“

Der amerikanische Environment-Künstler Ed Kienholz hätte seine Freude an diesem Lokal: Es ist vollgestopft mit Plüsch und Plunder, mit Klavier, Dartspiel und alten Blasinstrumenten rund um das gedrechselte Säulenkarree, in dem die meist nur spärlich besetzten Sofas vor sich hin gähnen. Dazwischen, verloren in Zeitlosigkeit, hängt die Kundschaft an der Theke herum. So präsentiert sich seit Anfang des Jahres jene Kneipe, die einst als schriller Szenetreff unter dem Namen „Mischpoke“in der Neustadt für Furore sorgte.

Heute wird sie geführt vom türkischen Gemütsmenschen Ersin und seinen Nichten – allen voran die geschäftstüchtige Hülya –, deren Gastfreundschaft sich längst nicht darin erschöpft, daß man schon nach dem dritten Besuch mit Handschlag begrüßt wird. Denn Ersin und Co sind Seelen der Gastronomie. Ihren Gästen stellen sie auch schon mal einen Teller „Bulgur“– jenen köstlichen Salat aus Tomaten, Frühlingszwiebeln, Petersilie und Weizengrütze – gratis hin, wenn sie den Eindruck gewinnen, daß das Schaffen der unerläßlichen Grundlage des Trinkens vernachlässigt wurde.

Und Ersin kommt auch gerne mal mit an den Tisch, um über die allgemeine Lage der Welt zu philosophieren. Oder er setzt sich ans Klavier und unterhält sein Publikum mit türkischer Tanzmusik. Schließlich war er in der Türkei zehn Jahre lang Profi-Musiker. Deswegen finden in seinem winzigen Laden regelmäßig Sessions statt, deren eine Hälfte geplant und angekündigt wird, während die andere spontan aus dem Publikum entsteht, zu dem von „Roncalli“-Leuten bis zum hiesigen Trompetenmatador Uli Beckerhoff so einige Notenbegabte zählen. An solchen Abenden verwandelt sich die „Harmony“dann in einen wahren Bienenkorb, vollgestopft mit kunstsinnigen Menschen. Doch normalerweise sind jene Gutbürgerlichen hier tonangebend, die noch aus den Zeiten übriggeblieben sind, in denen das Lokal „Alles klar“hieß.

Gerade das aber macht den Reiz dieses englisch-orientalisch-deutschen Wohnzimmerpubs aus. Denn in der „Harmony“wächst Abend für Abend zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört: Deutsche Biedermänner und türkische Musik, Dartspieler und Denker, Hausfrauen und Künstler, kurzum: die Avantgarde der Gewöhnlichkeit. Und manchmal, wenn die Nacht einfach nicht enden will, fordert eine von Ersins Nichten einen schüchternen Trinker zum gemeinsamen Bauchtanz auf.

Moritz Wecker

„Harmony“, Lahnstr. 13; Mo bis Do ab 19.00 Uhr, Fr bis So ab 20 Uhr.

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