■ Zur Einkehr: In der Capri Bar
Das Aquarium im hinteren Raum der Capri Bar ist doppelt schallisoliert. Um die Goldfische vor den Lärmwellen zu schützen, wurde um den Wassertank eigens eine zusätzliche Plexiglasscheibe gebaut. Mit dem Beginn der Happy Hour um acht Uhr steigt der Geräuschpegel allabendlich sprunghaft an, doch die Goldfische bleiben gelassen. An Tresen und Tischen sehen sich die Menschen dann mit der doppelten Ration versorgt, manche ordern auch gleich das doppelte Doppelte.
„Viel Glück“schickt der Barmann mit den zwei „Zombies“über den Tresen der Capri-Bar, kurz nach acht, sechzehn Mark. Ein Coctail „der seinen Namen verdient“, wie der Keeper vorsichtshalber verrät. Das Gebräu aus Rum und Rum beschäftigt für den Rest der Happy Hour. Und darüber hinaus. Wer zwei davon intus hat, verzichtet auf feste Nahrung. Doch auch die Margheritas oder Caipirinhas kitzeln nach kurzer Frist unter den Füßen. Die Capri Bar ist ein Ort zum Abstürzen.
Für ökonomische Denker ist die Happy Hour in der Capri Bar keine unbekannte Größe. Der Laden hat angeblich den größten Radeberger-Umsatz in ganz Westdeutschland, wie vor einer Weile ein angereister Brauerei-Mitarbeiter verkündete. Zum Lohn gab's einen neuen Kühlschrank.
Der ehemalige Puff an der Ecke Humboldt-Römerstraße ist also derzeit ziemlich angesagt. Die ältere Generation - das sind alle über 20 - docken tendenziell im vorderen Teil des Kneipenschlauches an der langen Bar an. Hinten, wo früher die Separrees waren und heute die Goldfische schwimmen, setzt sich eher der gymnasiale Teil der Partycrowd fest. Über die Beschallung kann sich niemand beschweren, der in den 90ern zu Hause ist.
Beliebtestes Thema in der schummrigen Enge ist die Vergangenheit des Etablissements. Was an der Deko ist neu, was ist Original? Die grüne Stofftapete? Die fellbezogenen Sitzbänke? Die aufgeschäumten Tropfsteinwände? Die Schwingtür mit dem roten Kußmund? Das Sinnieren über Design und Dekadenz hat hier schon über viele Gesprächspausen hinweggeholfen, und wer's genau wissen will, fragt die zahlreich anwesende Stammkundschaft.
Kurz vor neun, die Hektik steigt. Das Ende der Rabatt-Runden ist absehbar, jetzt gehen die Hamsterkäufe los. Körper reiben sich im Gedränge an der Bar, Scheinchen und Liquide wechseln immer schneller die Besitzer. Dann plötzlich entspannt sich die Lage bei allen, die gegen die Zeit an einem netten Einstieg in den Abend gearbeitet haben. Und der Laden bleibt voll. Christoph Dowe
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen