■ Zur Einkehr: Le Bistro Martini
Morgen ist es soweit. Vier Wochen lang beißen wir uns dann wieder durch die gefürchtete Viererkette Chipstüte-Erdnußdose-Schokoriegel-Bierflasche und dirigieren souverän vom heimischen Fünfmeterraum rund um die Glotze aus Bertis Buben zum wie üblich unverdienten WM-Titel. In solchen fußballverrückten Tagen erinnern wir uns gern an gute alte Zeiten. Ein legendärer Mittelstürmer trug damals sein wallendes Haupthaar, noch ohne obligatorischen Shampoowerbevertrag in der Tasche, trotz aufrechten Gangs in der bescheidenen Höhe von 160 cm über der Grasnarbe durch den gegnerischen Strafraum, trieb regelmäßig Abwehrhünen in die Depression und versenkte die Kirsche zum Leidwesen von König Otto mit Vorliebe im Netz von Werder Bremen. Genau, von Frank Mill ist die Rede, der zu Beginn des Jahrzehnts klugerweise das Spielfeld räumte, um es solchen Schwiegersohnmutanten wie Oliver Bierhoff zu überlassen. Und was macht Frank Mill heute?
Mill betreibt inkognito ein Bistro in Bremens Innenstadt. Nur die zahlreichen Dokumentaraufnahmen an der Wand – Mill beim Hechtkopfball, Fallrückzieher, Seitfallschuß – verraten dem Kundigen, daß der freundliche Wirt im Bistro „Martini“ einst Flanken cool verwertete statt belegte Baguettes heiß zu servieren. Aber auch in seinem neuen Job ist Mill ein ganz Großer. Das Ei-Tomato-Käse-Baguette etwa birgt auf der imponierenden Länge von 30 Zentimetern alles, was der Name verspricht – zzgl. eines halben Liters köstlicher Sauce, unter der Mill (oder wie auch immer er sich jetzt nennt) alle Speisen virtuos ertränkt, wenn der Gast darum bittet. Kreativität war Mills Stärke nie – deshalb verzeiht man ihm gnädig, daß die Speisekarte solche Zumutungen wie „Bananenpizza“ enthält, die auch in der auf Wunsch kredenzten Vollkornversion kaum mehr als den Wunsch erzeugen wird, den eh schon kleingewachsenen Wirt einen Kopf kürzer zu machen. Menschenkenntnis hingegen lernt man im Bundesligageschäft. Der frustrierten Sachbearbeiterin, die schneeweiß aus ihrem Urlaub zurückkehrte und nun bei einem „Kaninchen-Baguette“ (Gurke, Zwiebel, Salat) klagt, daß ihr Chef „total schwarz aus Capri“ wiedergekommen ist, „das ist aber gemein“ zuzurufen und sie mit Hauttypentheorien zu trösten – das ist wahre Empathie! Wer will schon wirklich Baguettes oder portugiesische Rotweine namens Dolgesheimer Kreuzberg? Liebe suchen wir! Selbst in der Mittagspause. Und bekommen sie. Von Frank Mill. Ganz ohne Aufschlag. zott
Pieperstraße 16
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