■ Zur Einkehr: In der Strandhalle
Der Himmel grau, die Weser grau, und nicht einmal der kalte Regen vermochte dieser monochromen Januarlandschaft einen anderen Farbton abzugewinnen – ein Tag, wie geschaffen für einen Ausflug nach Bremerhaven.
Ein kurzer Besuch des Bremerhavener Zoos, und unser zuvor sonniges Gemüt glich sich schlagartig dem Wetter an. Zwei riesige Eisbären langweilten sich zu Tode, und in den Aquarien schwammen Fische umher, die auf Infotäfelchen in diverse Geschmacksstufen unterteilt und danach bewertet wurden, wie sehr sie den Fischern das Geschäft versauen. Fehlten nur noch die passenden Kochrezepte.
Das Wetter war nicht nur schlecht, sondern auch beständig. Also landeten wir nach wenigen Schritten in der Strandhalle: ein riesiges Café und Restaurant mit geschmacklos teurer Einrichtung. Die Bediensteten waren klar in der Überzahl. Am Nebentisch hockte ein älterer Herr im Heideggeroutfit und erörterte mit dem Oberkellner die preisgünstigsten Unterbringungsmöglichkeiten für alte Omas. Gegenüber saß ein Zuhälter mit zwei seiner kuchenfutternden Prostituierten und erkundigte sich freundlich nach den Tageseinnahmen.
Die birkenbestockte Bedienung brachte den bestellten Kuchen, der aussah wie ein Gürteltierkotelett. Glücklicherweise schmeckte der Kuchen aber nach Sahne-Nuß mit Marzipankuvertüre in Gürteltiermuster.
Richard Clayderman klebte sich in die Ohrmuscheln, und wir schlürften „extravaganten Broken-Tee 2nd Flush GFBOP voll höchster Aromawerte“. Vor allem GFBOP schmeckte prima. Versonnen blickten wir nach draußen auf die Weser, wo nicht einmal der Leuchtturm es wagte, gegen das allgegenwärtige Grau anzustinken.
Drinnen hingegen warfen die zahllosen kitschigen, goldverzierten Tischlampen mit dem Licht nur so um sich. Heidegger von nebenan mümmelte mittlerweile selig an seinem Baumkuchen, die Huren lachten sich tot, und ein glutäugiges Kellnersahneschnittchen – ja sowas gibt's tatsächlich! – fragte, ob er unsere Jacken vom Stuhl an die Garderobe hängen darf. „Aber na sicher“, riefen wir so laut es ging diesem armen Sklaven der Etikette zu.
Heidegger rieß es darob sichtlich aus seinem So-Sein, die Huren kicherten sich aus der Strandhalle, eine verwirrte Dame suchte zwischen der Gürteltierkuchenauslage nach der Toilette, und wir strahlten uns an und wußten: Bremerhaven, wir kommen wieder. Sobald die Welt ins Grau fällt. Franco Zotta
Deichpromenade Bremerhaven, tägl. zwischen 11 und 23 Uhr geöffnet
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen