Zum Tod des Dichters Yahya Hassan: Abschied vom Rüpel-Reimer
Der umstrittene dänisch-palästinensische Poet Yahya Hassan ist in Aarhus beerdigt worden. Zum Friedhof kamen trotz Coronavirus 400 Menschen.
Am Dienstag nun steht der Imam vor dem schlohweißen Sarg seines Großneffen auf dem muslimischen Friedhof in Aarhus und wiederholt dessen Worte. Seine Stimme überschlägt sich, als er auf Arabisch zum Miteinander der dänischen Gesellschaft aufruft – inmitten von Kirschblüten, einem Dutzend Fernsehkameras und 400 Trauergästen, die meisten junge Männer aus der migrantischen Community. Epischer hätte der Abschied von Dänemarks größtem Dichter der Gegenwart kaum sein können. Die dänischen Corona-Bestimmungen gelten nicht für Beerdigungen.
1995 in Aarhus geboren, wächst Yahya Hassan als Sohn palästinensischer Geflüchteter in einem Migrantenviertel auf. Der Vater ist gewalttätig, die Mutter ohnmächtig. Über allem schwebt Allah, der die Ungerechtigkeit nicht bestraft. Als die städtische Tageszeitung Jyllands Posten 2005 die ersten Mohammed-Karikaturen druckt und eine weltweite Debatte über Meinungsfreiheit und die Grenzen des guten Geschmacks auslöst, ist Hassan ein zehnjähriges Kind.
Erste Strafdelikte später veröffentlicht Hassan 2013 mit 18 Jahren sein Debut, über das die Literaturelite und die Talkshows im ganzen Land diskutieren werden: einen schnörkellosen Band in schwarz-weiß, darin eine Abrechnung mit religiöser Heuchelei, Gewalt im Elternhaus und dem dänischen Liberalismus.
Bestätigung des Islamisierungsalptraums
Hassans Markenzeichen: Die GROSSBUCHSTABEN. Als hätte er jede Silbe eigens mit den Fäusten ins Papier geschlagen. 170 Seiten lang, roh und ungestüm. Und dazwischen so etwas wie Zärtlichkeit in Form eines lyrischen Ichs auf der Suche nach sich selbst. Schon damals prophezeit Hassan: „BALD LIEGST DU TOT IM / GRABEN / ERSTICKT AN DEINER / EIGENEN POESIE.“ Noch ist es nicht so weit.
Sein Debut trifft die 5,8 Millionen Dän*innen direkt ins Mark. Mit mehr als 120.000 verkauften Exemplaren wird „Yahia Hassan“ zum erfolgreichsten lyrischen Erstlingswerk Dänemarks. Es wird auch ins Deutsche übersetzt. 2014 tritt Yahya Hassan auf der Leipziger Buchmesse auf. Als er damals der taz ein schlechtgelauntes Interview gibt, lebt er mit Personenschutz. Islamisten haben ihn zuvor angegriffen.
Auf die Frage, wie er zur Vereinnahmung seines Werks von Rechten steht, die ihren Islamisierungsalbtraum in seinen Zeilen bestätigt sehen, wiegelt Hassan ab. Er würde doch nur Gedichte schreiben: „Ich bin nicht verantwortlich für ihre Auslegung durch meine Leser.“
Kurz vor dem Höhepunkt der „Flüchtlingskrise“ bezieht Hassan 2015 doch politisch Stellung. Er wird Mitglied in der sozialliberalen Nationalpartei, die sich für eine pluralistische Gesellschaft einsetzt. Bald wird er wegen eines Drogendelikts ausgeschlossen.
Der Tiefpunkt folgt 2018: In einem Sammelprozess bekennt sich Hassan zu allen 42 Anklagepunkten schuldig. Darunter: Körperverletzung, Vandalismus, Stalking. Das Gericht in Aarhus ordnet Psychiatrie an, auf unbestimmte Zeit. Dabei entstehen neue Gedichte.
„Yahia Hassan 2“ kommt im November 2019 auf den Markt, im selben Jahr, in dem die dänische Regierung das umstrittene „Ghetto-Gesetz“ verabschiedet, mit dem sie Parallelgesellschaften auflösen will. An den Erfolg des Erstwerkes kann „Yahia Hassan 2“ nicht anknüpfen.
Pläne für eine Hassan-Yahya-Straße
Dennoch: Als am Dienstag der weiße Sarg des Poeten im Erdreich versinkt, richtet der Kulturbeauftragte der Stadt Aarhus das Wort an die Trauergäste: Man wolle eine Straße nach Yahya Hassan benennen. Nach kaum einer Stunde ist die Trauerfeier vorbei. Die Fernsehkameras sind verschwunden.
Erst jetzt tritt Hassans Mutter ans Grab. Nach Medienberichten war sie es, die letzte Woche die Leiche ihres Sohnes in seiner Wohnung fand. Ein Fremdverschulden schließt die Polizei aus. Der Tod Yahya Hassans, er wirkt nach zwei veröffentlichen Gedichtbänden wie das unvermeidliche Ende einer Trilogie. Oder wie er es selbst sagte:
„ICH VERDIENE MEINE / GEBURT NICHT / ICH PISSE JA AUF MEIN / EIGENES GRAB / UND DAS GRAB NEBENAN / DAS IST DAS MEINES VATERS / DIE ERDE IST OHNEHIN / NICHT MEIN“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!