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Zum Theatralen drängen

Momentaufnahmen, die erst in ihrer Gesamtheit stimmig werden: Roy Anderssons Songs From The Second Floor  ■ Von Stefanie Maeck

Songs From The Second Floor ist ein medialer Grenzgänger-Film. Nicht, dass dies auf den ersten Blick sichtbar wäre. Doch in seiner inneren Verklammerung funktioniert dieser Film theatral. Regisseur Roy Andersson reiht locker Szenen aneinander, deren Figuren sich zu Konstellationen eines absurden Theaters zusammenfinden. Dessen Bühne wird von einem unwirklichen grün-blassen Licht umstrahlt. Immer wieder singen die Darsteller – und es kommt vor, dass alles in einem gemeinsamen hohen Gesang aufgeht. Hier wird mehr transportiert als eine bloße Geschichte.

Andersson erzählt von Entfremdung, kleinen grauen Angestellten, von schlurfigen Ehefrauen im Morgenrock, von kargen, trostlosen Wohnungen, den „delligen“ Körpern, die im Geschlechtlichen einen verzweifelten letzten Ausweg suchen – aber nicht finden – und dem alles fressenden Monster des Kapitalismus. Menschen treten auf, die jenseits aller Identität sind, nur noch als grüngesichtige Masken oder bloße Platzhalter fungieren, dafür aber umso genauer und stiller ein theatralisches und apokalyptisches Gemälde unserer Zeit entfalten können. Der Gedanke an Kafka und seine Figuren drängt sich aus diesen Bildern unmittelbar auf.

Das Interessante an Anderssons Songs From The Second Floor ist, dass hier auf Kosten eines linearen Erzählflusses komplexe Tableaus entworfen werden und dem Personal nur wenig Raum zum Handeln gelassen wird. Erst in ihrer lose verbundenen Gesamtheit lassen diese Momentaufnahmen eine kritische und zugleich trauernde Stimme erklingen, und dies, ohne dabei aufdringlich zu sein. Anstrengend an Songs From The Second Floor ist jedoch, dass immer stärker ein metaphysischer Oberton erklingt, der förmlich alles irdische Leid gegen den Himmel zu schreien scheint, dort Hilfe sucht und mit immer mehr Kreuzigungssymbolen und Jesusfiguren, einer wenig subtilen Rhetorik und Metaphorik aufwartet.

Auf diesem heiklen transzendenten Terrain gibt es leisere, intelligentere und feiner gewobene filmische Stimmen, wie zum Beispiel Pasolini mit seinem thematisch ähnlichen Teorema – Geo-metrie der Liebe. Theatralik und metaphysische Ambitioniertheit können ja auch „böse“ werden und sich in die Gefilde des Kitschigen verirren, hier läuft zumindest die letzte Hälfte von Anderssons Film Gefahr: mit der Plakativität und Häufung der gewichtigen Kreuz-Rhetorik.

Dies mag eine recht kritische Bewertung eines ambitionierten und wirklich guten Filmes sein, der im Medium des Filmischen eine theatrale Sprache entwickelt. Anders gewendet ist Songs From The Second Floor aber auch ein Film, der es verdient, ernst genommen und ernst besprochen zu werden, und eine im wahrsten Sinne kritische Huldigung zu erfahren.

Was man an Andersson verfolgen kann, ist sicherlich ein medialer Grenzversuch, der momentan relativ allein in der Filmlandschaft dasteht. Für eine Weiterentwicklung und Arbeit an der herkömmlichen Filmsprache hat Andersson damit unbezweifelbar einen wichtigen Schritt getan.

Anderssons frühere Filme kamen zwar mit einer ähnlichen Ges-te daher, sie hatten jedoch – deutlicher ausformuliert – auch ein Thema zum Gegenstand, wie zum Beispiel der Film Something Hap-pened, der die Geschichte von AIDS auf ungewöhnliche Weise und in ungewöhlichen Bildern schildert. Manchmal hätte man sich so eine stärkere Konzentrierung auf ein Thema auch für Songs From The Second Floor gewünscht. Vielleicht aber auch nur, weil dies unseren Seh- und Verständnisgewohnheiten mehr entspricht.

Um in dieser Welt zu überleben, darf man Anderssons permanente Katastrophe und Wiederkehr des Schrecklichen jedoch nicht als Alltagsgefühl übernehmen. Das wuss-te schon Immanuel Kant, der gegen den Nihilismus nach leitenden Ideen suchte. Das gilt auch heute noch. Die Position der Verzweiflung entbehrt zwar philosophisch nicht eines gewissen Schicks, aber gemütlich und überlebenspraktisch ist sie nicht. Ansonsten müsste man ja tatsächlich nach dem viel besungenen „Lichtstrahl“ suchen, der einem in tiefster Dunkelheit doch erscheinen soll. Aber ist man da nicht auch in tiefster Metaphysik? – Ach, der ewige Kreislauf ...

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