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Zum Mord an Maryam H.Ehrenmord, My Ass!

Wie kann eine Familie, die sich für ehrenhaft hält, morden? Unser Kolumnist denkt über den „Ehrenmord“-Begriff, den Duden und andere Fragen nach.

Ein Kranz an der Gedenkstelle für Hatun Sürücü in Berlin-Neukölln erinnert an die 2005 Getötete Foto: dpa/Paul Zinken

S chon 2009 hat der Duden den Begriff „Ehrenmord“ aufgenommen. DER Duden! Neben Gartenzwergen, Beherbergungsverboten und Blitzkrieg ist dieses Nachschlagewerk wohl mit das Deutscheste, was es gibt. Integration also gelungen, oder etwa nicht?

Klingt unangebracht und pietätlos? Yep! Genauso wie weite Teile jener Debatte, die nach einem „Ehrenmord“ ausbricht wie ein Vulkan mit Affektstau. Der Mord an der Afghanin und Neu-Berlinerin Maryam H. ist abscheulich, den Tätern gebührt meine volle Abneigung und Missachtung. Es gibt kein gutes Mordmotiv, außer es handelt sich um Bin Laden oder Hitler.

Der Duden definiert „Ehrenmord“ als „Mord an einem (weiblichen) Familienmitglied, für den als Motiv die Wiederherstellung der Familienehre angegeben wird“. Wie soll etwas wiederhergestellt werden, was vorher gar nicht existierte? Denn: Wie kann eine Familie, die sich für ehrenhaft hält, morden?

Tja, es ist ein Leichtes, als vermeintlich aufgeklärter Mensch die Lage bewerten zu wollen und mit scheinbar klugen Sätzen zu punkten. Zielführend sind sie nicht und mit dem eigentlichen Problem haben sie so viel zu tun wie Donald Trump mit Nina Simone.

Das ist kein Whataboutism

Können wir endlich aufhören, solche Diskussionen zum Beispiel entlang der Frage nach gelungener oder gescheiterter Integration zu führen? Was bezwecken Po­li­ti­ke­r:in­nen damit – wie gerade mal wieder CDU-Spitzenmensch Kai Wegner, wenn sie nun eine „offene Debatte über gescheiterte Integration“ fordern?

Es ist müßig, selbst im Jahr 2021 darauf hinzuweisen, dass Integration in die „Aufnahmegesellschaft“ leider weder ein Garant für ein gewaltfreies Leben noch für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung ist. Bräuchte es sonst Initiativen wie #MeToo, Frauenquoten oder das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx als Reaktion auf Kindesmissbrauch in den eigenen Reihen? Fast jeden dritten Tag wird irgendwo in Deutschland eine Frau von einem – ihrem – Mann ermordet, täglich gibt es einen Mordversuch.

Nee, das ist kein Whataboutism. Ich bin weiterhin beim hirnlosen Prinzip des „Ehrenmordes“. Hirnlos trifft es wahrscheinlich ganz gut, denn es dominieren diffuse Gefühlslagen und kollektive Zwänge. Das Emotionale und Zwanghafte dahinter zu erkennen und anzugehen, könnte die Zahl der Opfer tatsächlich reduzieren, als stattdessen beim Buhlen um Wäh­le­r:in­nen­stim­men sinnentleerte Worthülsen über Integration zu fauchen.

Seit Jahrzehnten stehen nach „Ehrenmorden“ Scheindebatten im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Wiederholt ist von „dem Islam“ und „den Muslimen“ die Rede, vorwurfsvoll wird dann im Koran geblättert.

In Deutschland leben mehr als 5 Millionen Menschen, die dem Islam zugerechnet werden. Müssten wir dann nicht jeden Tag mit mehreren Dutzend Ehrenmorden konfrontiert sein, Dunkelziffer inklusive? Wieso sind wir das, Allah sei Dank, aber nicht? Könnte es vielleicht, man glaubt es kaum, an den Mus­li­m:in­nen liegen? Weil die meisten von ihnen „Ehrenmorde“ genauso verabscheuen, wie die edle „Aufnahmegesellschaft“ es tut?

Selbstbewusste und autonome Personen

Ich bin in Kabul geboren, im Schoße einer afghanischen Großfamilie in Berlin aufgewachsen. Hier sind wir rund 40 Personen, deutschlandweit dreistellig. Mir ist keine einzige Zwangsheirat bekannt, wohl aber einige arrangierte Ehen, vor allem in der ersten von inzwischen vier Generationen. Die Frauen in unserer Familie sind selbstbewusste und autonome Personen.

Was wir uns so fragen? Was geht in den Köpfen der Täter vor, das Brüder ihre eigene Schwester töten lässt? Ist es wirklich nur ein Problem toxischer Männlichkeit? Welche Intensität kollektiven Schamgefühls spielt dabei eine Rolle? Wie können wir als Gesellschaft einen Fuß in vulgäre Familiengefüge bekommen, um Tatmotive irgendwann vollständig aufzulösen?

Diese Fragen sind bereits Teil des öffentlichen Diskurses, stehen aber nicht im Zentrum wie die lustvollen Pauschalurteile in Richtung „der Muslime“. Wenn sich weite Teile von „Mehrheit“ und „Minderheit“ dieselben Fragen stellen, wäre dann nicht eine gemeinsame Suche nach Lösungen angebracht, statt niederträchtig geführte Integrationsdebatten und Gegenüberstellungen wie Westliche Werte vs. Scharia? Es geht um Freiheit vs. Unfreiheit, individuelle Emanzipation vs. kollektiven Zwang. Entlang dieser Linien sollten wir sprechen.

Und Afghanen haben nach dem Scheiß-Egal-Abzug aus Afghanistan erstmal echt keinen Bock auf „westliche Werte“, hinter denen am Ende doch wieder nur die Taliban stehen. Und die schreiben Ehrenmord in Versalien.

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Bobby Rafiq
Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.
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