Zum Menschenbild der Neuen Rechten: Der Einzelne hat kein Recht
Gegen Menschenrechte und Globalisierung: Micha Brumlik sprach im Literaturhaus Berlin über „Das alte Denken der Neuen Rechten“.
D ie Völker sollen in ihren angestammten Kulturräumen bleiben. Auf diese ethnopluralistische These könnte man die Ideologie der neuen Rechten reduzieren, dann würde man allerdings Details verpassen, die auf der Suche nach einer politischen Antwort auf das Programm von Parteien wie der AfD wichtig werden könnten.
Zu diesem Schluss konnte man kommen, nachdem der Erziehungswissenschaftler und taz-Kolumnist Micha Brumlik am Freitagabend im überfüllten Kaminzimmer des Literaturhauses Berlin Rhetorik, Ideologie und Theorie, kurz: „das alte Denken der Neuen Rechten“ analysiert hatte. TOP B3rlin und die Rosa-Luxemburg-Stiftung hatten ihn als ersten Redner der Reihe „Rhetorik der Reaktion“ eingeladen.
Brumlik zeigte, dass die ethnopluralistische Idee nicht nur im Denken Carl Schmitts, sondern auch in der Philosophie Martin Heideggers Anschluss finden kann. Heidegger argumentierte in seinem Hauptwerk „Sein und Zeit“ völkisch und nationalsozialistisch: Das „Geschehen des Volkes“ bezeichnete er als „Geschick“, das sich nicht bloß aus einzelnen Schicksalen zusammensetze, „sowenig als das Miteinandersein als ein Zusammenkommen mehrerer Subjekte begriffen werden kann.
Im Miteinandersein in derselben Welt und in der Entschlossenheit für bestimmte Möglichkeiten sind die Schicksale im vorhinein schon geleitet.“ Erst „in der Mitteilung und im Kampf“ werde die Macht des Geschickes frei.
Es gibt keine Menschen
Mit Heidegger einig sind sich die Theoretiker der Identitären Bewegung (die wenige Stunden vor Brumliks Vortrag durch Berlin-Mitte marschiert war), dass Subjekte eigentlich nur relativ zu ihrer Generation und ihrem Volk existieren. „Das schicksalhafte Geschick des Daseins in und mit seiner 'Generation’ macht das volle, eigentliche Geschehen des Daseins aus“, schrieb Heidegger. Deswegen können Einzelne sich auch nicht auf ihre universellen Rechte berufen – die gibt es für die neuen Rechten schlicht nicht: „Der Sammelbegriff ‚Mensch‘ ist in seiner identitären Bedeutsamkeit nur für die jeweiligen Völker angebracht“, sagt etwa Walter Spatz.
Die Identitären treten aber nicht nur mit einem antiuniversalistischen und völkischen, sondern auch einem antikapitalistischen und antiglobalistischen Programm an, wobei sie sich auch auf Motive eines linken Diskurses beziehen: Wahre Kultur sei homogen und raumbezogen, argumentieren die Identitären, Digitalisierung und Globalisierung entfremdeten die Menschen ihrem Leben. Im Entfremdungsmotiv könne man ein Echo der Frankfurter Schule hören, meinte Brumlik.
Weiter wird behauptet, die Massenmigration werde vom Kapital organisiert, das Interesse an billigen Arbeitskräften habe. Daher finde gerade ein kapitalgesteuerter „großer Austausch“ statt. Überhaupt: Das Kapital verwüste die Erde, meinen die Identitären – und das hätten Marx und Engels auch schon so gesehen, sagte Brumlik trocken. Der Identitäre versteht sich daher auch als Öko.
Was links ist, kann nicht rechts sein
Die vielleicht bitterste Ironie dieser Geschichte ist, dass selbst Horkheimers und Adornos These von der „Kulturindustrie“ nun Bestandteil der nur notdürftig verschlüsselten antisemitischen Propaganda gegen die „angloamerikanisch dominierte Lebensart“, gegen Globalisierung und „Mediokratie“, also das ganze ominöse „System“, geworden ist. Die naheliegende Frage aus dem Publikum nach dem Anteil linker Theoreme am neurechten Denken wurde von einem der Organisatoren aber kurz und scholastisch abmoderiert: Was links ist, kann nicht rechts sein.
Das ist in mehrfacher Hinsicht ein bisschen kurz gedacht. Brumlik schreibt in seinem vor kurzem in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ erschienenem Aufsatz zum Thema: „Gerade weil die Theorien der identitären Bewegung erhebliche Schnittmengen mit linken Ansichten und Haltungen zu Kapitalismus, Globalisierung, Hegemonie der USA, Digitalisierung und Kulturindustrie aufweisen, dürfte es unumgänglich sein, demgegenüber – im Sinne der Aufklärung – das linke Projekt als ein menschheitliches, universalistisches zu rekonzipieren und sich darüber klar zu werden, dass heute, morgen und übermorgen eine linke Politik sich nicht nur um Europa, sondern um die Welt als Ganzes zu kümmern hat – der Internationalismus der Linken mithin seine Bewährung in Theorie und Praxis noch vor sich hat.“
Man könnte hinzufügen: Gerade weil die Theorien der identitären Bewegung erhebliche Schnittmengen mit linken Ansichten und Haltungen aufweisen, läge es nahe, ebendiese Ansichten und Haltungen kritisch danach zu befragen, inwiefern sie im Widerspruch zum emanzipatorischen Projekt stehen.
Links reden, rechts leben
Dass theoretisch, politisch und lebensweltlich an eben dieser heiklen Stelle etwas im Argen liegt, scheint für Brumlik klar zu sein. Er verwies auf die Positionen von Oskar Lafonatine und Sahra Wagenknecht, die sich als Fürsprecher des nationalen Proletariats betätigen, und zitierte Armin Nassehi.
Der Soziologe hat in seinem jüngsten Buch „Die letzte Stunde der Wahrheit. Warum rechts und links keine Alternativen mehr sind und Gesellschaft ganz anders beschrieben werden muss“ einen Widerspruch umrissen, der von Rechten erfolgreich skandalisiert wird. Nassehi hat dafür die treffende Formel „Links reden, rechts leben“ gefunden. Etwa: Für Integration sein, aber die eigenen Kinder in eine homogene biodeutsche Schule schicken. „Ein gewisses Problem gibt es da schon“, kommentiert Brumlik.
Probleme mit Fremdem
Warum aber ist die Rhetorik der Rechten darüber hinaus so erfolgreich? Brumlik vermutet, dass es der Appell an das Eigene in Abgrenzung zum Fremden ist. Diese Frage müsse man ernst nehmen. Brumlik verweist auf den linken Denker Ernst Bloch, der sich intensiv mit ihr auseinandergesetzt habe.
Dass auch hier die Rechte mit gezielter Unklarheit arbeitet, zeigte Brumlik mit einem Zitat von AfD-Vizesprecher Alexander Gauland, der vor kurzem der „Jungen Freiheit“ sagte: „Tatsache ist, dass sich Menschen wenn möglich gerne mit Vertrautem umgeben und deshalb oft Probleme mit Fremdem haben. Ich meine, die Menschen haben grundsätzlich auf diese Ablehnung von Fremdem ein Recht.“ Das Recht auf ein Gefühl könne man wohl niemandem absprechen, meint Brumlik, ein politisches Recht daraus aber nicht ableiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Innereuropäische Datenverbindung
Sabotageverdacht bei Kabelbruch in der Ostsee
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom