Zum 25. Todestag von Rory Gallagher: Schweiß und Passion
Er liebte den Blues, aber der Rock war nur eine halbe Umdrehung des Lautstärkereglers entfernt. Erinnerungen an Rory Gallagher.
Der legendäre New Yorker Musikkritiker Lester Bangs konnte mit spieltechnischer Virtuosität von Rockbands nie viel anfangen. Er ließ keine Chance aus, um über das britische Bluesrocktrio Cream zu lästern. Seltsamerweise hatte Bangs ihre Nachfolger Taste sofort ins Herz geschlossen. „Everybody else is just woodshedding!“ Alles andere ist Kinderkram, aber Taste seien mehr als nur ein weiteres „heavy voltmeter trio“, sie zelebrierten „progressive blues“.
Taste klingen zerzaust und räudig wie Straßenköter, die Songstrukturen sind ornamentlos schlicht. So bieten sie genügend Raum für Rory Gallaghers in Schweiß und Passion ertrinkende Gitarrensoli.
„Ich wäre nie in der Lage, mich zu wiederholen, weil es bei mir kein festes Konzept gibt“, hat er mal gesagt. Seine Mitstreiter sind alles andere als glücklich darüber. Bald nach dem elektrisierenden Auftritt beim Isle-of-Wight-Festival 1970 geben Taste ihre Trennung bekannt. Gallagher braucht keine Band, höchstens Adlaten
Er macht weiter, wie er bei Taste aufgehört hat – eklektisch. Er bleibt dem Blues zwar stets treu, aber nie konsequent. Sowohl auf den Soloalben als auch auf der Bühne ist der Rocker stets in Reichweite, manchmal nur eine halbe Umdrehung des Lautstärkereglers entfernt.
Seine alte 61er-Signature-Strat
Er ist ein trick- und fintenreicher Folkbluesman, der mit seiner Akustischen jede schwarze Spelunke in den Südstaaten abgekocht hätte, aber wirklich zum Abheben bringt ihn erst seine alte 61er-Signature-Strat mit der Fertigungsnummer 64351.
Ihr Ton ist mindestens so unverwechselbar wie seine Stimme. Schon bei Taste ist sie so zugerichtet, wie sie dann ins kollektive Gedächtnis eingeht: durchgenudelt, zerdengelt, die Sunburst-Lackierung bis auf das Holz runtergerockt.
Mitte der Siebziger hielt sich hartnäckig das Gerücht, Gallagher werde Mick Taylor bei den Stones ersetzen. Zum Glück ist er dem Pfad des Geldes nicht gefolgt, denn in diesem festen Bandkorsett hätte er nicht das machen können, was er wollte. Gitarre spielen. „When was the last time you heard a guitarist really play guitar?“, steht in jener Zeit Anfang der 1970er auf seinen Tourplakaten. Eine Frage, die sich nicht mehr stellte, wenn man eines seiner Konzerte besuchte.
Nachdenken über die Gitarre
Gallagher ist flink, liquide, aber noch kein Saiten-Irrwisch der Überschallklasse. Er nimmt sich schon mal die Zeit, über sein Instrument nachzudenken, löst dann in aller Seelenruhe die Akkorde in ihre Einzeltöne auf und besitzt genügend dramaturgisches Gespür, um zu bemerken, wann der Solospaß ein Ende haben muss.
Dass man so etwas Virtuosität nennen kann – geschenkt. Gallagher schafft es, auch auf größeren Bühnen seinen Auftritten die Intimität eines Clubgigs zu verleihen. Entsprechend lässt er die Verstärker-Gigantomanie aus, er bleibt beim „kleinen, voll aufgedrehten Combo-Amp, der auf dem Stuhl auf und ab hüpft“.
Mit dem Album „Against the Grain“ von 1975 beginnt seine kompositorisch reifste und energetischste Phase. Gallagher ist auf der Höhe seiner Kunst, seine Band ist eingespielt und lockt ihn aus der Reserve.
Grenzen überschreiten
Oder vielleicht ist es auch umgekehrt. Bei „Souped-up Ford“ tritt er das Pedal bis zum Blech durch, und der aufgedrehte Boogie transformiert sich unter seinen Händen in eine pumpende Hard-Rock-Nummer. Hier hat er Blut geleckt, denn in der Folge kommt es immer häufiger zu solchen Grenzüberschreitungen.
Seine Plattenfirma Chrysalis hat nichts dagegen, im Gegenteil, sie engagiert Deep-Purple-Bassist Roger Glover als Produzenten, und so enthält das folgende Album „Calling Card“ mit „Moonchild“ und „Secret Agent“ gleich zwei grandiose Riffer, die von da an obligatorischer Teil im Live-Repertoire sind.
Auch die Nachfolge-Werke „Photo-Finish“ und „Top Priority“ offerieren ruppigen Blues-Rock, der in den ekstatischen Momenten immer wieder Hard-Rock in den Schwitzkasten nimmt.
Auftritt in der Rockpalast-Nacht
Spätestens nach seinem Auftritt in der ersten Rockpalast-Nacht am 23. Juli 1977 kennt ihn in Deutschland jedes Kind. In dieser Nacht der langen Soli durfte man einen Künstler bei der Arbeit betrachten, dessen vielgestaltiges, trickreiches, trotzdem nie manieriertes oder selbstgefälliges Spiel für ihn selbst eine ewig sprudelnde Quelle der Freude war.
Empfohlener externer Inhalt
Gallagher steht während der gesamten 85 Minuten so unter Strom, legt eine solche spielerische Eloquenz an den Tag, dass man fast erschrocken zur Kenntnis nimmt, wie er sich hinter der Bühne in den schüchternen, um Worte ringenden Jungen vom Lande zurückverwandelt.
Marode Leber
Am Ende sieht er ein wenig aus wie der fette Frosch, den er im „Bullfrog Blues“ besingt. Für Eingeweihte kaum überraschend, wird Gallagher 1995 ins Krankenhaus eingewiesen, um seine marode Leber durch eine frische zu ersetzen, da ist er gerade mal 47 Jahre alt. Er fängt sich einen Virus ein und erkrankt an einer Lungenentzündung, von der er sich nicht mehr erholt. Am 14. Juni stirbt er.
Bis zuletzt war er durch Clubs und kleine Hallen getingelt. Was er an Geschwindigkeit und Verve eingebüßt hatte, macht er mit Gefühl und Straßenweisheit wieder wett. Und wenn das nicht reichte, gab es immer noch die Liebe der ihm zu Füßen liegenden Addicts.
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