piwik no script img

Zulieferer-Boykott bei VWDavid gegen den Goliath

Wegen eines Zulieferer-Boykotts wird in Wolfsburg kein Golf mehr gebaut. Für die Arbeitervertreter ist klar: Die Zulieferer spielen ein mieses Spiel.

Hier gibt es zurzeit nichts zu tun: VW-Werk in Wolfsburg Foto: dpa

Wolfsburg taz | Es könnte der Start in eine ganz normale Arbeitswoche sein: Vom Wolfsburger Hauptbahnhof strömen Hunderte Pendler, manche gar aus Berlin kommend, Richtung Tor 17 des riesigen Volkswagenfabrikgeländes; die Mitarbeiterparkplätze sind an diesem spätsommerlichen Montagmorgen, an dem viele mit dem Fahrrad oder Moped gekommen sind, gut gefüllt; die Schlote rauchen.

Aber in dieser Woche ist bei VW mal wieder nichts normal. Mindestens eine Woche steht am Stammwerk in Wolfsburg die Produktion des VW Golf, wichtigstes Modell der Stammmarke, wegen eines Lieferboykotts zweier Zulieferfirmen still. Insgesamt sechs VW-Werke sind davon betroffen; rund 30.000 Beschäftigte können nicht ihrer gewohnten Arbeit nachgehen, Tausende stecken bereits in Kurzarbeit.

Das bewegt natürlich auch die Beschäftigten, die schon hofften, die Krise nach dem Abgasskandal bald gemeistert zu haben. Die Stimmung sei so lala, seufzt eine Mittvierziger-Angestellte. „Irgendwann muss es ja mal besser werden.“ Und ein Azubi meint: „Das ist wirklich doof gelaufen.“ Auch ein Konzernmüllmann, der die Papierkörbe auf dem Parkplatz leert, ist besorgt. „Die Kurzarbeiter kriegen ja weniger Geld, die können doch gar nichts dafür.“ Dann schimpft er wieder über die Jugendlichen, die am Wochenende auf dem Parkplatz Party feiern und ihren Müll liegen lassen.

Andere VW-Beschäftigte – die meisten tragen ihren Werksausweis am Revers – sehen den Produktionsstopp gelassener. „Uns in der Entwicklung trifft das nicht“, sagt ein Entwicklungsingenieur. VW habe zig Beziehungen zu Lieferanten; da sei doch klar, dass nicht immer alles glatt laufe und einer mal aufmucke. „Aber hoffentlich einigen sie sich bald.“ Ein junger Mann mit hippem Bart sieht das ähnlich. Er arbeite im Büro, da treffe ihn der Produktionsausfall nicht. Und ein Bandarbeiter meint zum Produktionsstopp: „Das ist halt so, wenn einer nicht liefert.“ Ihn betreffe das aber nicht, er werde am Abend seine Nachtschicht beginnen. „Die Produktion des Tiguan läuft ja noch.“

Grund für den Produktionsstopp ist ein Konflikt zwischen dem mächtigen Weltkonzern und seinen sächsischen Zulieferfirmen ES Guss und Car Trim, die beide zur Prevent-Unternehmensgruppe gehören. Die Firmen weigern sich trotz eindeutiger Gerichtsbeschlüsse, Getriebeteile beziehungsweise Sitzbezüge an den VW-Konzern zu liefern, da dieser Schadenersatzzahlungen bei einem gestrichenen Auftrag verweigere. Es soll um mehr als 50 Millionen Euro gehen. Für die Firmen ist die Schuld aufseiten des VW-Konzerns.

Verlässlichkeit erwartet

Die Prevent-Zentrale liegt im nördlichen, dörflich geprägten Wolfsburger Stadtteil Warmenau. Prevent, das ist hier ein klassischer Mittelständlerneubau in einem Gewerbegebiet auf der grünen Wiese. Über die Maisfelder hinweg ist das mächtige VW-Stammwerk zu sehen. Dem Goliath will David von der Wiese Paroli bieten – aber spontaner Pressebesuch ist, kurz vor neuen Verhandlungen mit den VW-Managern, nicht erwünscht. „Keine Auskunft“, sagt die Pförtnerin nach Rücksprache mit der Zentrale. Und setzt in barschem Ton hinzu: „Verlassen Sie sofort das Betriebsgelände!“

Gastfreundlicher ist die IG Metall. Sie hat in Wolfsburg ihre größte regionale Geschäftsstelle in einem edlen Neubau direkt gegenüber dem VW-Werk. Hier werden 90.000 Mitglieder betreut, beileibe nicht nur VW-Beschäftigte, sondern auch solche bei Zulieferern. Zwar ist der Wolfsburger Gewerkschaftschef Hartwig Erb auf einer Konferenz in Süddeutschland, aber er lässt seine Sicht auf die Dinge schnell mitteilen.

„Volkswagen trägt sowohl für die Stammbelegschaft als auch für die vorgelagerte Wertschöpfungskette eine bedeutende soziale Verantwortung“, so Erb. Das Unternehmen gelte als solider und verlässlicher Autobauer. „Daran müssen sich auch die Zulieferer messen lassen.“ Vom Zulieferer Prevent erwarte er Verlässlichkeit. „Dafür muss Prevent seine Verträge einhalten.“

In die gleiche Kerbe schlägt VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh. Die Verantwortung liege ganz klar beim Zulieferer, der ein mieses Spiel spiele, so Osterloh auf Anfrage. „Wenn man Konflikte auf dem Rücken der Belegschaft austrägt, ist das unsozial.“

Sogar die Regierung mischt sich ein

Selbst die Bundesregierung mischte sich am Montag in den Streit ein und forderte eine schnelle Verhandlungslösung. Es gehe um Tausende Arbeitsplätze, die von Kurzarbeit betroffen sein könnten, sagte ein Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums. Die Unternehmen hätten eine „hohe Verantwortung“, ihre Probleme zu lösen. Beim Kurzarbeitergeld erhalten die Beschäftigten zwischen 60 und 70 Prozent ihrer Bezüge; es kann tarifvertraglich aufgestockt werden. Das Kurzarbeitergeld zahlt die Bundesagentur für Arbeit. Das bedeutet im VW-Streit: Die Gemeinschaft der Versicherten soll dafür aufkommen, dass sich zwei Unternehmen nicht einigen.

Mindestens einer, der Montagvormittag zum VW-Werksgelände strebt, hat großes Verständnis für die Lieferanten. „Ich bin selber Zulieferer. Ich finde gut, dass sich mal einer wehrt“, sagt er. Volkswagen habe doch die Verträge gekündigt ohne Rücksicht auf Verluste. „Die da“, sagt er, auf das Hauptgebäude des Weltkonzerns zeigend, „die denken doch, sie sind der Käs’, nur weil sie stinken“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Der einzige Skandal daran ist, dass VW seine Geschäftsrisiken von den deutschen Beitragszahlern tragen lässt - Kurzarbeitergeld???

     

    Was für eine Dreistigkeit, die Betriebsrisiken von der Allgemeinheit tragen zu lassen.

     

    VW versucht die Folgen seiner Betrügereien auf die Zulieferer abzuwälzen. Wieso sollen wir das auch noch unterstützen?

  • Dass VW ein "solider und verlässlicher Autobauer" ist, haben wahrscheinlich auch die Zulieferer angenommen – bis der Vorstand des Konzerns beschlossen hat, mit fadenscheiniger Begründung und ohne jeden Schadensersatz einen 50-Millionen-Vertrag zu "streichen". Einfach so. Weil sie es können (Gerichtsurteil).

     

    Wenn Kinder streiten, heißt es oft: "Der da hat angefangen!", und das hat einen Grund. Man soll sich, haben wir gelernt, Ungerechtigkeiten nicht gefallen lassen. Sie setzen sich sonst fest. Hier kriegt, wer sich beschwert, zum Urteil ("Halt dein Maul!") auch noch den Spott.

     

    Die Zulieferer sollen sich also tatsächlich "messen lassen" an einem Ruf, den ein Konzern zu Unrecht hat? Hartwig Erb, Gewerkschaftschef der IGM, derzeit in Süddeutschland, lässt ausrichten, "David" möge sich doch bitte benehmen wie er selbst. Nicht denken. Funktionieren. Wobei: Wenn ich das recht verstanden habe, hätte "Prevent seine Verträge" ja nur zu gern "ein[ge]halten". VW hat das bloß nicht erlaubt.

     

    Und was VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh angeht, der weiß ganz offensichtlich auch, wer ihn bezahlt. Er will die Hand nicht beißen, die ihn füttert. Statt dessen fällt er den Kollegen in den Rücken. Sozial ist das in meinen Augen nicht. Die Zulieferer haben schließlich auch "Belegschaft". Und dass VW-Manager nicht selber schrauben, dass also, wer sich wehrt, immer die Falschen trifft, haben die Praktiker sich nie gewünscht.

     

    Ja, VW trägt als Konzern eine "eine bedeutende soziale Verantwortun"“. Dass er damit manchmal deutlich überfordert ist, dürfen wir spätestens seit dem Abgasskandal vermuten. Bestätigt wird es nun nur einmal mehr.

     

    Übrigens: Das Kurzarbeitergeld zahlt nicht VW. Das zahlen wir. Genau wie wir den Abgas-Schaden zahlt. Vielleicht, dass die Regierung nicht nur "Du, du!" hätte sagen dürfen. Ich mein ja nur: Von wegen der Verantwortung.

    • @mowgli:

      Danke, das trifft auch meine Stimmung in dem Fall.

      VW hat als erster Autokonzern das Ausquetschen der Lieferanten als Quelle des Unternehmensgewinns entdeckt und dieses System immer weiter ausgereizt.

      Selber Dinge besser machen ist jedoch nie deren Stärke gewesen, und besonders viel aus vergangenen Fehlern scheinen die Herren in Turm nicht zu lernen. Wozu über die Organisation und deren Arbeitsweisen nachdenken, wenn man sich auch als Vorstandsvorsitzender obsessiv mit Spaltmaßen an Kofferraumdeckeln oder dem Griff zum Verstellen der Lenksäule beschäftigen kann?

       

      Und ach ja, die armen Arbeitnehmer. Komischerweise hört man die IG Metall-Leute nur sehr selten darüber schimpfen, daß in anderen Ländern im Konzern Linien rationalisiert und Tarifverträge abgeschliffen werden, damit die Arbeiteraristokratie in Niedersachsen ohne viel Leistungserhöhung die Bezüge regelmäßig angefettet bekommen kann (es sind ja vom Vorstand runter bis ans Band alle bei VW sehr gut bezahlt, sofern ihre Verträge die richtige Patina haben)

    • 1G
      10236 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      "Und was VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh angeht, der weiß ganz offensichtlich auch, wer ihn bezahlt."

       

      Ja, er hatte auch mal auf eine Frage nach dem exorbitanten Gehalt von Martin Winterkorn geantwortet der Mann sei "jeden Cent wert".

  • Schade, man hätte etwas besser recherchieren können. Der Konflikt bestehet nicht zwischen VW und den sächsischen Zulieferern sondern zwischen VW und Prevent. Diese Gruppe hat seit 2012 zahlreiche Zulieferer aufgekauft. Die Gelegenheit war günstig, schließlich sind viele – dank VW-Politik fast Pleite. ES Automobilguss aus Schönheide beispielsweise arbeitet größtenteils mit Leiharbeitern, mit extrem geringen Löhnen, unterläuft den Mindestlohn.

    Nun aber zieht Prevent die Zügel an, schließlich hat er auch 10% an Grammer, wird diesen Zulieferer vielleicht sogar übernehmen. seine Macht gegenüber VW ist groß.

    Finanziell geht es Prevent auch nicht so schlecht, die Besitzer– die Familie Hastor ist die reichste bosnische Familie!

    Da kommt so einiges auf die erfolgsverwöhnten und zugleich arroganten deutschen Autokonzerne zu. Daimler hat Prevent übrigens auch schon eine zweistellige Millionenrechnung aufgemacht.