Zukunft der Nahrungsproduktion: Wachstum unter Neonlicht
Neue Agrartechnologien dringen in die Städte und aufs Meer vor. Gemüse aus dem Regal, Muscheln von der Meeresfarm, geht das?
Pflanzen, die die Wände hochwachsen
Mitten in der Kieler Innenstadt steht eine Halle. Unscheinbar sieht sie aus, es könnte sich eine Kfz-Werkstatt oder ein Lagerraum darin befinden. Doch weder Autos noch Werkstoffe haben darin ihren Platz, sondern eine Farm mit unzähligen kleinen, nährstoffreichen Pflanzen.
Ich habe mich mit Felix Doobe, dem Geschäftsführer und Gründer der „Verture Farm“, verabredet. Doobe entdeckte das Vertical Farming auf einer Reise durch Thailand, Japan und Neuseeland. Vor allem in Japan ist das Vertical Farming nach der Atomkatastrophe in Fukushima und der damit einhergehenden Belastung des Grundwassers immer populärer geworden. Es handelt sich dabei um ein Konzept, bei dem die Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen vertikal in Regalsystemen stattfindet. Diese vertikalen Farmen finden in urbanen Räumen wie Industriehallen, Hochhäusern oder auch ausgedienten U-Bahn-Schächten Platz.
Zurück in Kiel begann Doobe 2019 mit seiner eigenen Vertical Farm. Es hat etwas Futuristisches, wenn man die Räume betritt. An den Wänden ranken Pflanzen, Neonröhren spenden ein helles Licht, und es hat den Anschein, als würde überall etwas wachsen. Und das tut es auch.
Im großen Zuchtraum der Farm stehen deckenhohe Regale voll mit winzig kleinen Pflanzen: Microgreens. Das sind 10 bis 15 Tage junge Keimlinge verschiedener Gemüse- oder Kräuterpflanzen. Dadurch, dass die Pflanzen sehr früh geerntet werden, enthalten sie hoch konzentrierte Nährstoffe. Der Nährstoffgehalt kann je nach Nährstoff bis zu 100-mal höher sein als bei ausgewachsenen Pflanzen.
Doobe ist überzeugt von den ökologischen Vorteilen seiner Microgreens-Farm: „Zum einen können wir uns lange Transportwege von Nahrungsmitteln ersparen, und wir können Abwärme nutzen. Wir könnten durch grüne Hauswände und Gärten die Städte klimatisieren, was durch die Erderwärmung auf lange Sicht ja auch ein großes Problem werden wird.“ Und so wachsen mitten in der Stadt kleine Oasen.
Aktuell vertreibt Doobes Unternehmen die Microgreens in Supermärkten und auf Wochenmärkten in und um Kiel. Sein Ziel ist es, in Zukunft weitere Nahrungsmittel mit den gesunden Pflänzchen herzustellen. In Form von Burger-Pattys, Nudeln und Saucen sollen sie bald auf den Tellern der Verbraucher:innen landen, als eine neue Variante von Lebensmitteln aus der Region. Gerade durch Covid und die Ukraine habe man gesehen, wie brüchig globalisierte Lieferketten sind, meint Doobe. Man müsse weg von den großen Fabriken, hin zu den kleinen Unternehmen, um die Nahrungsmittelsicherheit zu gewährleisten. Doobe: „Wir schöpfen bisher auf jeden Fall daraus.“
Miesmuscheln, die das Meerwasser filtern
Etwas außerhalb von Kiel, an der Ostsee, findet man noch ein anderes Beispiel für eine alternative Form nachhaltiger Landwirtschaft: die Kieler Meeresfarm. Sie ist ein Projekt von Nikolai Nissen, Tim Staufenberger und Kristina Hartwig. Auf ihrer Farm züchten sie Muscheln, Algen und Fisch.
Ich treffe mich mit Kristina Hartwig in der Nähe des Stadtteils Holtenau an der Kieler Förde. In Sichtweite von großen Fähren, Frachtern und Segelbooten liegt hier ganz unscheinbar die Meeresfarm. Ein kleines Gebiet, gekennzeichnet von Bojen, ist das Zuhause zahlreicher Miesmuscheln, welche von dem Team für den menschlichen Direktverzehr geerntet werden.
Ähnlich wie bei den Microgreens stelle ich mir die Frage: Kann man mit diesen Muscheln die Menschheit nachhaltig kernähren?
„Eines unserer Ziele ist es, die Ostsee zu retten“, sagt Hartwig. „Das werden wir realistisch gesehen mit unserer kleinen Fläche leider nicht schaffen. Wir möchten Menschen also vor allem zu einem nachhaltigen Konsum animieren.“
Dass man mit Muscheln die Welt ernähren kann, glaubt auch Hartwig nicht. Doch Muscheln könnten durchaus einen Beitrag leisten, denn die Ostsee steht vor Problemen. Durch den Einsatz von Gülle und Düngemitteln in der Landwirtschaft landen immer mehr Nährstoffe über das Grundwasser im Meer. Die Folgen: Die natürliche Balance des Ökosystems wird gestört. Es entstehen sauerstofffreie Todeszonen, in denen Würmer, Krebse und Fische nicht mehr überleben können.
„Diese Nährstoffe müssen wieder aus der Ostsee gefiltert werden, und das funktioniert unter anderem mithilfe der Muscheln“, sagt Hartwig. Mit der Ernte würden die Nährstoffe, welche die Muscheln aufgenommen haben, wieder aus der Ostsee genommen.
Auch Kristina Hartwig blickt positiv in die Zukunft. Das Trio plant, vermehrt Algen anzupflanzen. Diese können dann sowohl als Nahrungsmittel wie auch als Bestandteil von Medikamenten genutzt werden. Auch der Anbau von Queller, auch bekannt als Wasserspargel, soll in Zukunft ausgeweitet werden. Das Salzwiesengewächs, welches einen leicht pfeffrigen und salzigen Geschmack hat, liefert wichtige Nährstoffe wie A-, B- und C-Vitamine. Außerdem enthält er viel Chlorophyll und sekundäre Pflanzenstoffe, welche antioxidativ wirken. Ein heimisches Superfood also.
„Ich glaube, dass Algen und andere Meerespflanzen viel mehr genutzt werden müssen“, sagt Hartwig. Damit könnte man die Fischindustrie entlasten, die dann nicht mehr allein das Omega 3 bereitstellen müsste. Algen wiederum seien, je nach Sorte, auch an Land in Tanks anbaubar. „Ich glaube auch, dass die Ernährung eher wieder in Richtung Regionalität geht. Die Menschen müssen lernen, umzudenken“, sagt Hartwig.
Wenn es nach ihr ginge, würde das Wasser bei der Produktion von Nahrungsmitteln sowieso eine größere Rolle spielen. „Diese großartige Fläche, die wir haben, möchten wir mit Leben füllen. Wir stellen uns Hausboote zur Forschung vor, auf denen schwimmende Gärten zu finden sind. Darauf könnte man Gemüse oder Kräuter anbauen“, sagt Hartwig.
Schwimmende Gärten gibt es bereits seit einigen Jahren auf der Seine in Paris. Und ein Stück die Ostseeküste hoch, auf der vorpommerschen Halbinsel Darß, läuft seit zwei Jahren ein Pilotprojekt. Man sieht, die Zukunft hat schon begonnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“