Zukünftiger Generalintendant Börgerding: "Die Zeit des Jammerns ist vorbei"
Mit Vorschusslorbeeren wechselt Michael Börgerding von der Hamburger Theaterakademie ans Bremer Theater. Er erbt ein Defizit von vier Millionen Euro - und 400 MitarbeiterInnen, die bis zu seinem Amtsantritt 2012 kollektive Freiheiten genießen.
taz: Herr Börgerding, Sie wurden einstimmig zum künftigen Bremer Generalintendanten gekürt. Was war der Auswahlkommission wichtiger: Heilige Eide, dass Sie den Theateretat nicht überziehen, oder Ihre inhaltlichen Darlegungen?
Das mit den Schwüren war relativ schnell vom Tisch - ich hoffe, ich habe inhaltlich überzeugt.
Sie sagen öffentlich: "Man kann auch mit wenig Geld gutes Theater machen." Vor zehn Jahren hätte diesen Satz kein Intendant, erst recht kein designierter, in den Mund genommen.
Stimmt. Aber der Satz war keiner, mit dem ich mich beworben habe. Es gibt da durchaus einen Paradigmenwechsel bei den Theatern, sie sind spürbar bereiter, ökonomische Verantwortung zu übernehmen. Man könnte auch - mit der Zeitschrift Theater heute - sagen: Die Zeit des Jammerns ist vorbei.
Für Finanzpolitiker sind solche Eingeständnisse ein gefundenes Fressen, oder?
Die Ambivalenz meiner Äußerung ist mir schon bewusst. Es geht aber genau um die Selbstbehauptung von Theater als Notwendigkeit. Und diese Notwendigkeit muss das Theater eigensinnig beweisen. Es wäre illusorisch, von einem ewigen Anrecht des Theaters auf Alimentierung durch die öffentliche Hand auszugehen. Genauso verstiegen ist es allerdings, von gigantischen zusätzlichen Einspiel-Ergebnissen zu schwadronieren, die man angeblich generieren könne. Das Bremer Theater ist mit 25 Millionen Euro Zuschuss deutlich schlechter ausgestattet als vergleichbare Städte, das Hannoveraner Gagen-Niveau ist hier schon überhaupt nicht denkbar. Die Situation ist eben ein bisschen wie bei Werder oder eher beim SC Freiburg: Manchmal kann es oben mitspielen, obwohl das finanziell eigentlich gar nicht drin ist.
Durch Ihre Ernennung scheint klar zu sein, wohin die Reise am Goetheplatz geht: Sie verschieben die Gewichte wieder in Richtung Schauspiel und machen junges, intellektuell anspruchsvolles Theater. Werden Sie auch etwas tun, das man nicht von Ihnen erwartet?
Unterhaltung. Am Jungen Theater Göttingen und in Hannover habe ich lange und sehr eng mit Friedrich Karl Waechter zusammen gearbeitet, zum Beispiel haben wir ein Musical über die Bremer Stadtmusikanten auf die Bühne gebracht - wobei das eigentlich eher so ein versponnenes Singspiel war. Mich interessieren die Zwischenformen von klassischem Musical und Liederabend, überhaupt das Schräge und Skurrile.
übernimmt 2012 die Generalintendanz des Bremer Theaters. Derzeit leitet Börgerding die Hamburger Theaterakademie, an der Schauspieler, Opernsänger und Regisseure ausgebildet werden und zu deren Gründungsdirektor er 2005 ernannt worden war. Börgerding stammt aus dem Oldenburgischen. Nach dem Germanistik- und Soziologiestudium in Göttingen, wo Börgerding sein erstes Engagement als Dramaturg am Jungen Theater hatte, wechselte er zu Ulrich Khuon ans Schauspielhaus Hannover. Von dort nahm ihn Khuon als Chefdramaturg mit zum Hamburger Thalia Theater.
Wie viel Wert legen Sie auf eine gute Zuschauerquote?
Für die Auswahl des Spielplans darf sie nicht entscheidend sein. Aber wenn man kompliziert erzählt, muss man natürlich umso mehr für die Vermittlung tun, also Diskussionen und Publikumsgespräche anbieten. Sowohl in Hannover als auch in Hamburg haben wir die Zuschauerzahlen gesteigert, ohne auf so genannte Eventkultur zu setzen. Mir geht es vordringlich um den Aufbau eines guten Repertoires.
Dafür müssten Sie die Ensembles wieder stärken.
Ja. 18 Schauspieler sind einfach zu wenig, wenn man zwei große Produktionen parallel laufen lassen möchte.
Das typische Erfolgsmodell deutscher Intendanten ist eine Mischkalkulation aus ambitionierten Stücken fürs Feuilleton und publikumsträchtigen "Schlagern". Haben Sie so etwas auch im Sinn?
Natürlich sind Mischkalkulationen klug. Aber ich würde keine Stücke ansetzen, die nur um der Quote willen gespielt werden. Mein Ziel wäre eher, der Entmischung des Publikums entgegenzuwirken. Warum sieht man die Leute, die zu Tanzproduktionen gehen, nicht im Schauspiel?
Als Bremer haben Sie den Vorteil, Ihr künftiges Theater bereits gut zu kennen. In welchem Zustand übernehmen Sie das Haus?
Da möchte ich keine Zensuren verteilen.
Ihr Vorvorgänger, Klaus Pierwoß, ist weniger zurückhaltend. Ihm zu Folge ist das Theater komplett gegen die Wand gefahren.
Es gab diesen Moment. Wenn in zwei Spielzeiten ein Defizit von vier Millionen Euro angesammelt wird, ist man vor die Wand gefahren, natürlich.
Die zwei kommenden Spielzeiten werden von den Spartenleitern verantwortet. Haben Sie Sympathie für so einen kollektiven Führungsstil? Oder bleiben Sie beim traditionellen Modell des Intendantenwechsels: Der Neue zieht wie ein König mit seinem Tross in die Stadt ein und besetzt die Positionen neu?
Das ist alles noch offen. Immerhin dauert es noch zwei Jahre, bis ich mein Amt antrete.
Finden Sie es heutzutage vertretbar, dass ein Generalintendant quasi-monarchische Befugnisse hat? Theater sind Bollwerke des Absolutismus, obwohl sie mit öffentlichen Mitteln finanziert werden.
Ich würde das anders beschreiben wollen. In den Hochschulzusammenhängen, in denen ich derzeit arbeite, hat es ja als eine Reform eine Entwicklung in genau diese Richtung gegeben: Die Präsidenten und die Dekane haben - aus guten Gründen, wie ich finde - eine ähnliche Entscheidungsbefugnis wie ein Intendant. Für beide gilt, dass ihre scheinbare Macht auf fünf Jahre beschränkt ist. Sie sind demokratisch gewählt und sie stellen sich der Kritik und einer möglichen Abwahl. Das ist ja auch bei einem Regisseur so: Er kann zwar machen, was er will - für mich bedeutet das: Er übernimmt die künstlerische Verantwortung für eine Produktion -, aber eben begrenzt auf eine Produktion.
Und diese Machtportionen verteilt der Intendant, wie ein König seine Lehen vergeben hat.
So habe ich das nie gesehen und ich habe diese Form des Theaterabsolutismus auch - glücklicherweise - nie selbst kennengelernt. Das ist für mich ein totales Auslaufmodell.
Apropos Macht: Ihre Designierung wurde bekannt, bevor Sie den Vertrag unterschrieben hatten. Konnten Sie da nicht schnell nachverhandeln? Zum Beispiel das Concordia Theater, wo früher Tabori und Fassbinder inszenierten, zurückgewinnen?
Nein. Aber das Concordia ist schon ein Thema im Gespräch mit der Kulturbehörde. Was die Baulichkeiten angeht, liegen mir vor allem Veränderungen im Schauspielhaus am Herzen. Es tut einerseits so, als ob es ein Guckkasten mit Bühnenkante wäre, andererseits so sozialdemokratisch offen, ohne Portal, und hat zudem katastrophale Sichtverhältnisse. Ich denke, dass eine Zuschauertribüne, also eine Aufsicht auf die Bühne, eine Lösung sein könnte. Beim Concordia gibt es Überlegungen, ob man es temporär nutzt, für einzelne Produktionen oder ein mögliches Autoren- oder Regiefestival, das dem Bremer Theater bislang fehlt. Natürlich in Absprache mit den jetzigen Nutzern des Concordia.
Klaus Pierwoß nutzte den Bremer U-Boot-Bunker Valentin für ein großes Antikriegsstück, Ihr unmittelbarer Vorgänger Hans-Joachim Frey erfand eine "Seebühne", auf der er mit seiner Open-Air-Opernkulinarik ökonomisch scheiterte. Wie groß sind Ihre Ambitionen, auch außerhalb des Goetheplatzes zu agieren?
Das ist im Augenblick nicht vordringlich, reizt mich grundsätzlich aber schon.
Mit welchen Regisseuren werden Sie in Bremen arbeiten?
Ich möchte noch keinen Namen nennen. Aber ganz sicher werden hier Leute aus meinen bisherigen Arbeitszusammenhängen auftauchen - ich komme also durchaus mit einem Hamburger Profil.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!