Zugunglück in Spanien: Keiner will es gewesen sein

Über die genauen Ursachen der Katastrophe bei Santiago de Compostela mit 78 Toten wird immer noch gerätselt. Der Lokführer gilt offiziell als verhaftet.

Gedenken an die Opfer in Santiago de Compostela. Bild: ap

MADRID taz | Wenige Tage nach dem Zugunglück bei Santiago de Compostela mit 78 Toten rätselt Spanien weiter über die Ursachen. Festzustehen scheint: Der Zug ist mit 190 Stundenkilometern mehr als doppelt so schnell in eine enge Kurve vor der galicischen Hauptstadt gerast. Lokführer Francisco José Garzón gilt nun offiziell als verhaftet. Er liegt zwar im Krankenhaus, wird aber von Beamten bewacht. Die Polizei wirft ihm Fahrlässigkeit vor.

Allerdings hat ihn der Untersuchungsrichter noch nicht verhört. Auch die Blackbox wurde noch nicht ausgewertet. Spanische Medien berichten trotzdem, Garzón habe eine Warnmeldung des Sicherheitssystems bestätigt und dennoch nicht gebremst.

Zudem gibt es Berichte über Facebook-Einträge des Lokführers, in denen er sich angeblich brüstet, 200 Stundenkilometer schnell zu fahren.

Damit wird das Bild eines seinen Aufgaben nicht gewachsenen Mannes gezeichnet, der womöglich fünf Minuten Verspätung aufholen wollte. Psychologen mahnen indes, die Überlebenden und Angehörigen der Toten könnten ihr Trauma nur dann verarbeiten, wenn es eine rückhaltlose Aufklärung gebe.

Parallelen zu einem U-Bahn-Unglück 2006

Die Forderung kommt nicht von ungefähr. 2006 starben bei einem Unglück in der U-Bahn von Valencia 43 Menschen, 47 wurden verletzt. Auch hier galten überhöhte Geschwindigkeit in einer Kurve und menschliches Versagen als Ursache. Als Schuldiger wurde der Fahrer ausgemacht, der bei dem Unglück sein Leben verlor. Allerdings kritisieren Angehörige der damaligen Opfer noch heute, es habe in Valencia keine Sicherheitssysteme gegeben, die den Zug hätten bremsen können – obwohl diese Systeme in allen anderen spanischen U-Bahnen Standard sind. Im vergangenen Mai hat die Staatsanwalt beschlossen, in dem Fall neu zu ermitteln.

Die Parallelen zum Unglück in Galicien sind offensichtlich: Der Lokführer hätte bremsen müssen und gilt nun als Verantwortlicher. Allerdings fehlte auch in der Einfahrt zur galicischen Hauptstadt ein Sicherheitssystem mit Sensoren in den Gleisen, das ERTMS, das selbstständig bremsen kann – etwa wenn der Lokführer Warnhinweise falsch interpretiert. Es bestehe entlang der gesamten Strecke, zwei Kilometer vor der Unglücksstelle werde es durch ein älteres System ersetzt, bestätigen Gewerkschaften. Dieses ältere System löse nur ab 200 Stundenkilometern eine Notbremsung aus.

Das für das Schienennetz zuständige staatliche Unternehmen Adif verweist bei Anfragen jetzt auf das Infrastrukturministerium. Dem Radiosender Cadena Ser erklären die Verantwortlichen dort, die Entscheidungen über die Sicherheitssystem habe die sozialistische Regierung getroffen, die bis 2011 im Amt war. Und deren Verantwortliche verweisen auf die Aznar-Regierung, die 2003 mit den Planungen für die Strecke begonnen hat.

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