Zugang zu Arztterminen: Krankenkassen fordern einheitliches Portal
Eine zentrale Plattform könnte Wartezeiten verkürzen. Das könnte Vorteile für Patient:innen bringen – wenn einige grundsätzliche Fragen geklärt sind.
Die gesetzlichen Krankenkassen (GKV) wollen, dass die Vergabe von Arztterminen zukünftig zentral geregelt wird. „Die Digitalisierung ist eine riesige Chance, um den Zugang zu niedergelassenen Ärzten und in die Versorgung zu verbessern“, sagte die stellvertretende Vorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Stefanie Stoff-Ahnis, am Dienstag in einem Interview mit der Rheinischen Post. Konkret schlägt die GKV vor, ein einheitliches und unabhängiges Onlineportal für die Terminvergabe mit einer digitalen ärztlichen Ersteinschätzung zu verbinden.
Denkbar wäre beispielsweise eine App, so Stoff-Ahnis: „Im ersten Schritt gebe ich meine Symptome und die Beschwerden ein und bekomme dann eine Rückmeldung.“ Die App könne einen Termin beim Hausarzt empfehlen, aber auch den Weg zur Notdienstpraxis, ins Krankenhaus – oder einfach Bettruhe. Ziel ist es, die teilweise langen Wartezeiten für Termine zu verkürzen und auch Notaufnahmen zu entlasten. Damit ergänzt der Vorschlag das bereits im Sommer diskutierte Primärarztmodell, das die Rolle der Hausärzt:innen als Erstkontakt hervorhebt.
Das häufig genannte Stichwort dazu lautet „Patientensteuerung“. Die soll zukünftig dazu führen, dass weniger Menschen zu Haus- oder Fachärzt:innen gehen, wenn es eigentlich gar nicht nötig ist. Denn: Die Arztkontakte hierzulande sind vergleichsweise hoch, fünfmal höher als beispielsweise in Schweden.
Im schwedischen System, das häufig als Vorbild dient, sind Primärversorgungszentren die erste Anlaufstelle für Patient:innen. Eine medizinische Fachkraft führt dann eine standardisierte medizinische Ersteinschätzung durch und entscheidet, ob ein physischer Hausarztbesuch überhaupt notwendig ist. Die Fachärzt:innen werden so entlastet und diejenigen, die tatsächlich Behandlungen brauchen, kommen schneller zum Zug.
Warken offen für mehr Digitalisierung
Für gesetzlich Krankenversicherte könnte insbesondere das unabhängige Onlineportal einen konkreten Vorteil haben: Der GKV-Spitzenverband will, dass Patient:innen bei der Terminvergabe nicht mehr angeben müssen, ob sie gesetzlich oder privat versichert sind.
Wer bei Terminvergabeplattformen wie Doctolib, Jameda oder Arztdirekt bereits einmal Termine gebucht hat, weiß: Wer probeweise das Kästchen „privat“ anklickt, bekommt meist sehr viel frühere Terminoptionen angeboten. „Ich finde es skandalös, wenn Ärztinnen und Ärzte, und das kommt leider immer wieder vor, Privatversicherte bevorzugen“, so Stoff-Ahnis. Und ergänzt, dass es ohne die gesetzliche Krankenversicherung keine flächendeckende medizinische Infrastruktur geben würde, um die Privatversicherten zu versorgen.
Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat sich zuletzt offen gezeigt für die verstärkte Nutzung digitaler Möglichkeiten. „Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass man für eine Ersteinschätzung ein Videotelefonat führt und so auch eine E-Überweisung erhalten kann“, sagte sie am Montag dem Spiegel. Zum Umgang mit Privat- und Kassenversicherten äußerte sie sich nicht konkret.
Offene grundsätzliche Streitpunkte
Das Thema Wartezeiten und Arzttermine wird im kommenden Jahr wohl weiter diskutiert werden. Innerhalb der Ärzt:innenschaft ist der Vorschlag der zentralen Terminvergabe in der Vergangenheit auf scharfe Ablehnung gestoßen. Die freie Arztwahl dürfe „nicht zugunsten zentraler Planungs- und Überwachungsfantasien geopfert werden“, erklärte die Kassenärztliche Bundesvereinigung damals.
Abgesehen von vorhersehbaren Widerständen erzeugen die Vorschläge auch ganz grundlegende Fragen zur Zugänglichkeit des Gesundheitssystems: Wie sollen Menschen in die Versorgung eingebunden werden, die keine digitalen Geräte nutzen? Wer bringt künftig genug Zeit und Möglichkeiten mit, hartnäckig auf einem Zugang zur Versorgung zu bestehen – wenn App und Ersteinschätzung zunächst einer Behandlung im Weg stehen? Das sind bislang offene Streitpunkte.
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