Zu wenig Freiwillige für Bundestagswahl: Jeder Helfer zählt
Immer weniger Menschen melden sich freiwillig als Wahlhelfer. Zur Bundestagwahl erwägen einige Städte, Bürger zur Wahlhilfe zu zwingen.
BERLIN taz | Der Aufruf ging an alle Uni-Angestellten, von studentischen Hilfskräften bis zu den Professoren: 210 Helfer soll die Personalstelle der Universität Bremen für die Bundestagswahl am 22. September jetzt benennen. Denn in der Stadt kamen bislang nur 1800 Wahlhelfer zusammen, 1000 fehlen noch.
Auch dem internen Appell der Universität folgten nur wenige Freiwillige. 68 zufällig ausgewählte Uni-Mitarbeiter wurden deshalb nun zur Wahlhilfe verpflichtet. Auch eine Zwangsverpflichtung unter allen Bremern will man beim Landeswahlleiter nicht ausschließen.
Bremen ist kein Einzelfall, denn freiwillige Wahlhelfer zu finden wird in vielen Kommunen immer schwieriger. Warum, dafür haben auch Wissenschaftler keine einfache Erklärung. Für Karl-Rudolf Korte, Leiter des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen, hängt das Phänomen indirekt mit dem des Nicht-Wählens zusammen. „Wahlen sind etablierte, konventionelle Formen der Beteiligung“, sagt Korte. „Das ist wenig attraktiv, weil der Respekt vor der Aura der Politik nur noch eingeschränkt erkennbar ist.“
Die Menschen einfach durch Maschinen zu ersetzen ist jedoch keine Lösung. Wahlcomputer seien mit dem Grundsatz der „Öffentlichkeit der Wahl“ unvereinbar, urteilte das Bundesverfassungsgericht 2009 – der Chaos Computer Club hatte zuvor Manipulationsmöglichkeiten nachgewiesen. Es hängt also weiter am Engagement der Menschen. Doch dem muss immer öfter nachgeholfen werden.
Der Berliner Senat hat jetzt beschlossen, das „Erfrischungsgeld“ für Helfer von 35 auf 50 Euro zu erhöhen, um die benötigten rund 17500 Freiwilligen zu motivieren. Auch München hat das Entschädingungs-Geld aufgetockt. Eine Woche vor der Bundestagswahl wird dort am 15. September der Bayrische Landtag gewählt, außerdem müssen dann die Wahl der Bezirkstage und fünf verfassungsändernde Volksentscheide ausgezählt werden. Doch noch fehlen 1000 Helfer. Auch in München könnte es daher zu Zwangsverpflichtungen kommen. Der Dienst im Wahllokal würde damit zur „Staatsbürgerpflicht“ erklärt – nur im Krankheitsfall käme man dann darum herum.
Helfer wollen nach Hause und machen Fehler
Doch unmotivierte Bürger zwangszuverpflichten hat auch Nachteile: „Je schneller die Leute abends nach Hause wollen, desto mehr Fehler passieren“, sagt Wilko Zicht. Er sitzt in Bremen im Wahlausschuss, der die Ergebnisse überprüft, bis sie amtlich sind. Früher hat er selbst mit ausgezählt. „Wegen Unstimmigkeiten musste man manchmal drei Mal nachzählen“. Größere Fehler passierten vor allem beim Sortieren der Stimmzettel: Wenn um 18 Uhr die Wahllokale schließen, werden sie nach Parteien gestapelt. Legt ein Helfer ein falsches Blatt oben auf, folgten oft noch mehr, erklärt Zicht.
Wegen der sinkenden Wahlbeteiligung wurden in manchen Gemeinden schon Wahlbezirke zusammengelegt. Bremen hingegen musste sogar einen Bezirk teilen, weil es im Wahllokal zu voll wurde. Nun werden noch mehr Helfer benötigt – mindestens ein Wahlvorsteher, ein Schriftführer und ein Beisitzer müssen laut Bundeswahlordnung während der Wahlhandlung anwesend sein. Der Bremer Landeswahlleiter hat deshalb jetzt auch Listen von der Einbürgerungsbehörde angefordert: „Wir wollten Leute animieren, die gerade erst ihre Staatsangehörigkeit erworben haben, sich mehr an der Demokratie zu beteiligen“, so eine Sprecherin. Die Resonanz blieb auch da gering.
Kein Mangel an Wahlhelfern herrscht dagegen in Biblis. Dabei fallen dort am 22. September gleich drei Wahlen zusammen: In Hessen ist Landtagswahl, und Bilbis wählt zudem einen neuen Bürgermeister. Trotzdem werde die Bundestagwahl zuerst ausgezählt, so Hauptamtsleiter Manfred Wohlgemuth. Das Ziel sei, bis 21 Uhr fertig zu sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen